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Im Wettbüro des Teufels

Im Wettbüro des Teufels

Titel: Im Wettbüro des Teufels
Autoren: Stefan Wolf
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die Küche zu schlurfen, wo Margot Glockner Kaffee in eine
¾-Liter-Thermoskanne goss.
    Pfote wusste wozu. Ihre Mutter
war schon unten in ihrem Geschäft gewesen — Feinkost, Obst und Gemüse — aber
noch mal zurückgekommen, um sich Kaffee zu holen. Währenddessen ,schmiss’ Frau Becker
den Laden — eine Aushilfe.
    „Morgen, Mami!“ — „Gut
geschlafen, Gaby?“ — Wangenbussi und prüfender Blick in Gabys Augen. „Noch
erkältet?“
    „Ich fühle mich fit für eine
ganztägige Ski-Tour.“
    „Lieber nicht“, lachte Margot. „Dort
ist dein Frühstück. Tim war schon da!“
    „Waaaaas?“
    „Wir waren beide der Meinung,
dass du dich ausschlafen sollst. Er hat Oskar geholt. Zum Joggen.“
    „Stark. Klößchen ist ja dieses
Wochenende zu Hause. Und Tim ist auch dort. Um elf wollen sie hier sein.
Wahrscheinlich ist Oskar dann reif für die Insel. Für eine Insel zum
Ausschlafen, meine ich.“
    Margot schraubte die
Thermoskanne zu. „Hauptsache, Tim ist munter, wie?“
    Gaby errötete etwas, was ihr
ohne Frühstück nicht leicht fiel. „Der ist immer munter. Ich glaube, er hat zu
viel Adrenalin. Das kreist im Blut und macht die Äktschen. Klößchen hat zu
wenig.“
    Margot griff nach ihrer
Strickjacke. „Bevor sich TKKG in den Samstag stürzen, könntest du für mich was
erledigen. Nur den Gang zum Briefkasten, ja? Die Weihnachtspost muss unbedingt
weg. Sonst kommt sie erst nach den Feiertagen an und alle sind traurig. Es sind
27 kuvertierte Karten. Bitte, verlier keine!“
    „Mache ich doch nie, Mami.“
    „Ich verlass mich auf dich.
Papi ist im Präsidium.“
    „Ich weiß. Mit mir kannst du
rechnen.“
    „Tschüss!“
    Wangenbussi — und Margot
verließ die Wohnung im Eilschritt. Gaby duschte, frühstückte ein wenig und zog
sich an: Winterjeans, warme Stiefel, den weißen Rollkragenpulli.
    Mit ihrer gefütterten
Kapuzenjacke und 27 kuvertierten Weihnachtskarten zog sie dann los und ging
einem Beinahe-Verhängnis entgegen, wie es schrecklicher kaum hätte werden
können.
    Aber sowas ahnt der Normalo
vorher nicht und Gaby las die Adressen auf den Briefen, während sie — den Poststapel
fest in der Hand — die Breitfeiger Straße entlang ging und dann durch die
Cottbusser Gasse zu dem Briefkasten am Eckhaus.
    Dieser Briefkasten war der
nächste. Mit Wochenend-Schlenderschritt benötigte Gaby etwa dreieinhalb
Minuten.
    Hier in der Altstadt, die ja
zur Innenstadt gehört, war eine Menge los. Wen wunderte das zehn Tage vor
Weihnachten an einem Samstag ohne Schneefall. Pflüge hatten die Straßen
geräumt, das Glatteis war bestreut. Die Quote der gebrochenen Arme und Beine
würde heute nicht übermäßig hoch sein.
    Gaby erreichte den Briefkasten.
    Er hing an einer Hausmauer.
Dieses Haus war ein Eckhaus. Dort, wo der Briefkasten angebracht war, hatte das
alte Gebäude keine Fenster — jedenfalls war das nächste etwa zehn Schritte
entfernt und gehörte zur Parterre-Wohnung einer alten Dame, die früher
Musiklehrerin gewesen und jetzt in Rente war.
    Damit man von der Straße nicht
in die Wohnung hineinsehen konnte, besaß das Fenster eine blickdichte
Spitzengardine. Aber Gaby war neugierig und sah seit Jahren, seit sie sich
erinnern konnte, immer wieder hin. Doch noch nie hatte sie dort eine
Veränderung bemerkt. Nie war die Gardine geöffnet.
    Wird die denn zum Waschen nicht
abgenommen?, fragte sie sich. Sicher doch. Aber dann bin ich gerade nicht hier.
    Auch jetzt wies die Gardine
alle Blicke zurück und Gaby ging weiter. Noch zehn Schritte zum Briefkasten.
    Hier endete die Cottbusser
Gasse. Die Hausecke war zum Greifen nah. Die Frontseite des Gebäudes gehört
bereits zur Professor-Nörgl-Straße — und dort brauste der Verkehr und viele
kleine feine Geschäfte lockten mit ihren Auslagen.
    Gaby stand am Briefkasten und
zählte ihren Stapel noch mal durch.
    Es war 10.01 Uhr.
    Um 10.00 Uhr sollte die
Briefbombe explodieren. Sie befand sich im Briefkasten: ein dickes Kuvert. Eine
billige Armbanduhr diente als Zeitzünder. Aber der Hersteller der Bombe war
kein Künstler seines Faches.
    Manchmal sorgten seine
Sprengsätze zu früh für Aufruhr. Manchmal verspäteten sie sich. Es war auch
schon vorgekommen, dass sie gar nicht funktionierten.
    „...25, 26, 27“, zählte Gaby.
„Vollzählig. Und hinein damit!“

    Noch 18 Sekunden bis zur
Explosion.
    Gaby schob die Briefe durch den
Schlitz, verteilt auf fünf Portionen.
    Noch zehn Sekunden.
    Sie blieb stehen und sah auf die
Uhr. Um elf wollten die
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