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Im Wettbüro des Teufels

Im Wettbüro des Teufels

Titel: Im Wettbüro des Teufels
Autoren: Stefan Wolf
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Jungs kommen. Also gleich nach Hause? Oder noch ein
bisschen an den Schaufenstern bummeln?
    Noch fünf Sekunden.
    Gaby klappte die Kapuze hoch
und pustete gegen ihren Goldpony.
    Noch drei Sekunden.
    Sie hatte sich entschieden,
wollte noch Schaufenster ansehen, trat zur Hausecke und wandte sich in die
Professor-Nörgl-Straße.
    Jetzt!
    Die Explosion zerfetzte den
Briefkasten als wäre er aus Papier. Höllenlärm. Krachen, metallisches Bersten,
Splitterregen. Konfetti wölkte über die schmale — und jetzt zum Glück
menschenleere — Cottbusser Gasse. Metallteile flogen über die Fahrbahn und
zertrümmerten das Schaufenster eines Sanitär-Geschäftes. Dort entstand
Glasbruch und drei ausgestellte Klo-Deckel wurden beschädigt. Im Geschäft
befand sich niemand.
    Gaby war zwar im letzten
Sekundenbruchteil um die Hausecke verschwunden. Doch ihre Kapuze, die hinten
etwas bauschte, lag noch in der Schusslinie.
    Ein dolchartiges Metallteil durchtrennte
die Kapuze genau dort, wo sich sonst Gabys Pferdeschwanz im Warmfutter ringelt.
Heute trug Pfote das Haar offen. Kein einziges — im Wortsinn — wurde ihr
gekrümmt oder abgetrennt. Aber natürlich spürte sie den Ruck an ihrer
Winterbekleidung und hörte den pfeifenden Vorbeiflug des Stahlblech-Geschosses.
    Zu Tode erschrocken presste
sich Gaby an die Wand. In geringer Entfernung drängten sich Käufer vor einem
Klamotten-Shop, der wegen Geschäftsaufgabe alles reduziert, nämlich zu
Schleuderpreisen hergab.
    Die Leute verhielten, alle
guckten her.
    Unsäglicher Gestank drang Gaby
in die Nase, wurde von dem Wind in der Cottbusser Gasse um die Ecke geweht: der
Gestank von Sprengstoff, heißem Metall, glimmender Farbe, brennendem Papier,
schmorendem Plastik.
    Zwei Männer kamen gerannt.
    „Ist dir was passiert?“
    „Nein. Alles in Ordnung.“
    „Was war denn?“
    „Ich glaube, der Briefkasten
ist explodiert.“
    Gaby luchste um die Ecke.
    „Ja. Total. Nur noch Trümmer.
Und die Mauer ist beschädigt.“
    Die Männer beäugten den Tatort.
    „Schon wieder“, sagte der
Kleinere. „Hört denn dieser Vandalismus nie auf? Die bomben noch unsere Stadt
kaputt.“
    „Wer?“, fragte der Größere.
    „Ja, wenn man das wüsste. Es
sollen die Halbys sein — diese Typen mit dem halbseitigen Kahlschnitt.“
    Und unsere schöne
Weihnachtspost ist auch zum Teufel, dachte Gaby. Nun muss alles noch mal
geschrieben werden. Und mich hätte es auch beinahe erwischt. Himmel! Meine
Kapuze ist ja völlig zerfetzt.
    Erst in diesem Moment begriff
sie: Nur um Haaresbreite, bzw. um eine halbe Sekunde war sie einem tödlichen
Schicksal entgangen.
    Sie wurde leichenblass. Ihre
Knie wackelten. Doch dann sah sie, wie das Fenster mit der blickdichten Gardine
geöffnete wurde.
    Zum ersten Mal!
    Verstört beugte sich eine
ältere Dame heraus, die Musiklehrerin im Ruhestand.

8. Zwei Gauner auf dünnem Eis
     
    Gotthilf Dunkert, der sich von
Freunden gern ,Gotti’ nennen ließ, kam gegen halb elf, wurde von der
Vorzimmerlady mit einem Sonnenaufgang-Smile bedacht und dann zu Selbmann-Kotz Junior
hereingelassen.
    Der hatte die Ellbogen immer
noch auf die Baupläne gestützt und suckelte an derselben Montecristo-Zigarre,
die jetzt aber zwei Zentimeter geschrumpft war, doch seine Miene war düster.
    „Hallo, Hallöchen!“
    Gotti trat neben ihn und klopfte
ihm sacht auf die Schultern.
    „Hallo!“
    „Ärger?“
    Gotti ließ sich in einen Sessel
sinken.
    „Ärger habe ich immer. Das
bringt dieser verdammte Beruf so mit sich. Ärger, Stress, Frust,
Magengeschwüre. Manchmal frage ich mich, warum sich ein Grundpfeiler der deutschen
Wirtschaft wie ich so abrackern muss.“
    „Weil du geldgierig bist und
den Hals nicht vollkriegst.“ Gotti grinste.
    „Stimmt.“
    „Und das reicht doch als
Grund.“
    „Das reicht für alle Gründe der
Welt. Willst du eine Zigarre?“
    „Ich rauche nicht mehr.“
    „Ach? Seit wann nicht?“
    „Seit heute früh?“
    „Erkältet?“
    „Angst vor Lungenkrebs.“
    „Du meine Güte! So plötzlich?
Gestern hast du noch gequalmt wie ein Schlot.“
    „Der Mensch wird klüger.
Manchmal über Nacht.“
    Gotti Dunkert war hoch in den
Vierzigern, lang gewachsen, dürr und elegant in der Art eines Landlords — also
mit Lederflicken an den Ellbogen, Wollkrawatte und kariertem Schal zum Jackett.
    Tatsächlich war er kein
Landedelmann, sondern höherer Verwaltungsbeamter hier in der Millionenstadt. Er
leitete das Bauamt und unterhielt auch beste Beziehungen zum
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