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Im Taxi - unterwegs in Kairo

Im Taxi - unterwegs in Kairo

Titel: Im Taxi - unterwegs in Kairo
Autoren: Chalid al-Chamissi
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sind.
    Manchmal wenn ich mit jungen Männern spazieren gehe und sie sagen: ›Schau mal dort, Scheich‹, dann erwidere ich: ›Gott schütze uns vor dem Teufel und der Versuchung!‹ Aber ich frage mich, wie ein Vater seine Tochter so aus dem Haus gehen lassen kann. Als würde er ihr sagen: ›Geh und lass dich missbrauchen!‹«
    Beim letzten Satz des Scheichs riss mir der Geduldsfaden: »Was soll der Quatsch?«
    Â»Quatsch?«, sagte der Fahrer. »Sagen Sie das nicht, mein Herr. Das sind die Worte von Scheich Muhammad Hussain Jakûb. Er hat doch recht! Die Mädchen! Mein Gott, die sind eine echte Plage. Die sind doch alle zu Prostituierten geworden – entschuldigen Sie meine Ausdrucksweise. Gehen Sie denn nie auf die Strasse? Sehen Sie nicht das Rouge und all dieandern Farben, mit denen sie ihre Gesichter anmalen? Das ist das Teufelsmal!«
    Ich versuchte, ihn zu unterbrechen, ohne Erfolg. Er war völlig ausgerastet und redete wie ein Maschinengewehr auf mich ein: »Lassen Sie sich nicht vom Kopftuch täuschen. Schauen Sie sich mal die engen Hosen an und den Dreck, den sie sich ins Gesicht schmieren! Und was im Sommer los ist, davon will ich gar nicht erst anfangen. Gott bewahre uns vor ihrem Bösen! Wenn die Golfaraber in Muhandissîn einfallen, bevölkern die Mädchen wie die Ameisen die Strasse der Arabischen Liga und die Batal-Achmad-Abdalasîs-Strasse. Eine echte Katastrophe, Gott steh uns bei! Diese Mädchen müssten geschlachtet werden, nein, Schlachten ist noch zu gut für sie, die müssten verbrannt werden! Vermutlich ist das ein Zeichen für das Weltende – denn das Weltende naht. Dekadenz greift um sich, die Moral verfällt, Korruption macht sich breit. All dies sind Zeichen für das nahende Ende.«
    Ich hatte den Versuch aufgegeben, mit ihm ins Gespräch zu kommen, und beschränkte mich aufs Zuhören.
    Â»Haben Sie gewusst, dass es in einigen Ländern viel mehr Frauen als Männer gibt? Ich muss Ihnen wohl nicht sagen, in welch schrecklichem Zustand sich diese Länder befinden. Auch das ist ein Zeichen für das bevorstehende Weltende. Das wichtigste Indiz aber ist der Wasserstand im See Genezareth. Es heisst, dass dieser See völlig ausgetrocknet sein wird, wenndas Weltende gekommen ist. Ich hab gehört, dass schon jetzt kaum noch Wasser drin ist.
    Was in Palästina und Jerusalem passiert, ist doch auch überdeutlich. Noch ein paar Jahre, dann ist alles dort vorbei. Wer sich als Märtyrer geopfert hat, kommt ins Paradies, der Rest wird von der Erde verschlungen, inschallah. Und all die Diebe und Blutsauger kommen in die Hölle, inschallah. Danach kommen die Frauen dran. Die werden in der Hölle schmoren, bis sie schreien: ›Genug, genug!‹«
    Ich dankte Gott von ganzem Herzen, dass ich angekommen war, und floh aus dem Taxi, bevor der Fahrer auch mich verfluchen würde. Ich dankte Gott auch, dass ich keine Frau war, sonst wäre ich wohl nach all den ungerechtfertigten Anschuldigungen dieses Mannes vor Entrüstung gestorben.
    Ich erinnerte mich an den grossartigen Roman Die Reisen des Herrn Baldassare von Amin Maalouf 25 . Er gründet auf einer historischen Begebenheit: Die Menschen warteten auf das »Jahr des Tieres«, jenen Tag im Jahre 1666, an dem der Antichrist erscheinen und die Welt ihr Ende finden sollte. Also suchten sie nach Zeichen für den Letzten Tag.
    Zu allen Zeiten gibt es Leute, die hoffen, dass der Tag der Auferstehung nahe ist, damit sie endlich von Unterdrückung und Tyrannei erlöst werden.

10
    Auf der Abbâs-al-Akkâd-Strasse in Nasser-City herrschte ein solcher Stau, dass sich das Taxi kaum vorwärtsbewegte. Es war neun Uhr abends, und die Schaufenster waren von Neonlampen so hell beleuchtet, dass ich die Augen schliessen musste. Aus einem der Cafés oder Geschäfte drang die Stimme des irakischen Sängers Kâsim al-Sâhir ins Taxi, der seine Geliebte besang.
    Der Fahrer schnalzte mit der Zunge und seufzte: »Armer Irak, wie ich mit dir leide.«
    Â»Waren Sie denn im Irak?«, fragte ich ihn.
    Â»Ich habe dort meine besten Jahre verbracht. Die Iraker sind tolle Leute. Bis jetzt kann ich kaum glauben, was dort passiert ist. Das hätte ich mir nie vorstellen können. Armer Irak!«
    Â»Was hatten Sie sich denn vorgestellt?«
    Â»Ganz ehrlich? Ich dachte, Saddâm würde die Amerikaner schlagen. Sogar als ich
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