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Im Tal des wilden Eukalyptus

Im Tal des wilden Eukalyptus

Titel: Im Tal des wilden Eukalyptus
Autoren: Inez Corbi
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dein Ziehvater wusste genau, was für einer mal aus dir werden wird.«
    Â»Diony-SIUS, nicht Diony-SOS! Das war ein frühchristlicher Märtyrer. Nachdem die Römer ihn geköpft hatten, ist er noch sechs Meilen weit gelaufen und hat dabei die ganze Zeit gebetet.«
    Â»Während sein Kopf noch immer auf dem Richtplatz lag?«, fragte Moira mit erstickter Stimme, der er anhörte, dass sie das Lachen zurückhielt.
    Â»Nein«, gab er trocken zurück. »Den hat er natürlich mitgenommen. Unter dem Arm.«
    Â»Natürlich. Wie sonst?« Sie lachte auf. »Sag jetzt nicht, dass du das glaubst!«
    Duncan hob die Schultern und bemühte sich um ein ernstes Gesicht. »Natürlich. Er war schließlich ein Heiliger.« In Wahrheit bezweifelte er diese Geschichte genauso wie sie.
    Moira zog ihr Schultertuch um sich und blickte in die flackernde Kerzenflamme. »Ihr Papisten seid schon eigenartige Leute. Was ist mit denen, die keinen Heiligen haben?«
    Â»Die feiern am ersten November Namenstag. An Allerheiligen.«
    Â»Aha. Sehr praktisch. Alle für einen.« Kurz verzog sie das Gesicht und legte die Hand auf ihren gewölbten Leib. »So kann nur ein Junge treten. Joey. Wann wird sein Namenstag sein?«
    Â»Ich weiß nicht.« Ein warmes Gefühl machte sich in ihm breit. »Dann willst du ihn katholisch taufen lassen?«
    Sie lächelte. »Ja.«
    Â»Ich habe schon einmal ein Kind getauft«, murmelte er.
    Â»Du? Ich dachte, das dürfen nur Kirchenmänner.«
    Â»Wenn das Leben des Kindes in Gefahr ist, darf es jeder Christ. Es war unser Kind. Das … das erste.« Das, was Moira im Busch bei ihrer Fehlgeburt verloren hatte. Für einen kurzen Moment krampfte die Erinnerung an den winzigen, lebensuntüchtigen Körper sein Herz zusammen.
    Â»Davon hast du mir nie etwas erzählt.« Noch immer lag ihre Hand auf ihrem Leib. »Wir sollten auch jetzt nicht dar­ über sprechen. Möglicherweise bringt es Unglück.«
    Die Kerze war inzwischen fast bis zur Hälfte heruntergebrannt. Moira erhob sich und blies die Flamme aus. »Der gute Di onysius wird mir vergeben. Ein Heiliger ohne Kopf ist sich er auch mit einer halben Kerze zufrieden.«
    Sorgfältig löschte sie den Docht und packte den Kerzenstumpf wieder in die Truhe.

3.
    Der mächtige Leib der Regenbogenschlange schob sich aus dem dunklen Meer. Ningali sah mit an, wie das mythische Schöpferwesen Flüsse, Seen, Hügel formte und Menschen erschuf. Wie die Erde entstand – damals, jetzt und dereinst. Wie das Wissen geschaffen wurde. Und das Träumen.
    Vor einem Wasserloch spielte ein Kind. Mit seiner weißen Haut und den schwarzen Haaren sah es aus wie ein winziges Ebenbild von Mo-Ra. Die Regenbogenschlange kroch näher. Ningali öffnete den Mund zu einem warnenden Schrei, doch schon hatte sich die Schlange aufgerichtet und verschlang das Kind mit einem einzigen Bissen.
    Ningali fuhr hoch, ihr Herz raste. Erneut hatte sie denselben Traum gehabt, der sie in die Zeit der Ahnen geführt hatte. Und immer ging es darin um das Geistkind, das in Mo-Ra heranwuchs.
    Sie vermisste die tröstliche Gegenwart ihres Dingos, der ihr Gefährte gewesen war und sie des Nachts gewärmt hatt e. Neben sich hörte sie die Großmutter leise schnarchen. In einer der anderen kreisförmigen Hütten aus Zweigen und Gras schlief Bun-Boe, ihr Vater, der auch Dan-Kins Vater war. Für eine ganze Weile hatte Ningali befürchtet, er würde zurückgehen zu den Weißen, von denen er einst gekommen war. Aber nun war er doch bei seiner wahren Familie geblieben.
    In den hohen Bäumen wisperte der Wind; die Ahnengeis ter durchstreiften den Wald. Bald würde die Zeit der großen Hitze kommen. Dann würde Mo-Ras Geistkind zu einem wirklichen Kind werden. Doch der Traum sprach von Gefahr. Gefahr für das Ungeborene.
    Ningali legte sich wieder hin, mit offenen Augen. Schlafen würde sie nicht mehr können, doch sie würde auf den Morgen warten. Dann würde sie die Großmutter fragen, was der Traum zu bedeuten hatte.
    *
    Der Wind trieb ein Blatt über den Boden und wirbelte rötlichen Staub auf. Moira zog einen Faden ein. Sie saß auf der neu errichteten Bank vor ihrer Hütte und versuchte sich darin, einen Riss in Duncans Hemd zu stopfen. Noch immer konnte sie der früher so verhassten Nadelarbeit keine große Freude abgewinnen,
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