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Im Tal des Schneeleoparden

Im Tal des Schneeleoparden

Titel: Im Tal des Schneeleoparden
Autoren: Steffanie Burow
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fürchte mich.«
    Kim wiegte den Kopf. »Verständlich. Du hast einiges vor dir. Dein Entschluss, Eddo mit allem zu konfrontieren, steht nach wie vor?«
    Anna nickte. »Ich muss mein Leben aufräumen. Es wird sicher fürchterlich für ihn, aber das lässt sich nicht ändern. Wenn ich mich nicht mit ihm ausspreche, platze ich.«
    »Ich könnte mir vorstellen, dass es auch ihn erleichtert. Wenn er solch ein fürsorglicher Vater ist, wie du ihn beschreibst, müssen die Lügen ihm sehr zu schaffen machen.«
    »Er war immerhin die treibende Kraft.«
    »Ja, aber das ist über dreißig Jahre her. Die Welt hat sich seitdem verändert. Zumindest im Westen ist es kein Makel mehr, ein uneheliches Kind zu sein. Er wollte nicht nur sich schützen, sondern auch dich. Und deine Mutter.«
    Anna seufzte. »Das weiß ich alles. Trotzdem fällt es mir schwer, das Gute zu sehen. Mein Leben hätte ganz anders verlaufen können.«
    »Natürlich hätte es das. Aber ob besser oder schlechter, weiß kein Mensch. Es ist müßig, darüber nachzugrübeln.«
    Anna lächelte. »Ich sollte langsam lernen, ein bisschen indischer zu denken. Darauf zu vertrauen, alles sei vorherbestimmt, birgt einen gewissen Trost.«
    »Eben«, sagte Kim und lachte. »Wenn alles anders verlaufen wäre, hätten wir uns wahrscheinlich schon als kleine Kinder kennengelernt. Du hättest auf Besuchen die Rolle meiner älteren Schwester übernommen, mich beschützt und bemuttert, und so wäre es geblieben. Wir hätten keine Chance gehabt, uns ineinander zu verlieben.«
    Die Vorstellung, wie sie mit Klein Kim in der heimischen Sandkiste Kuchenbacken spielte, brachte Anna zum Kichern. »Zumindest wären zwischen uns nicht die Fetzen geflogen wie zwischen Timo und mir.«
    »Wer weiß?« In Kims Augen blitzte der Schalk.
    »Blödsinn«, sagte Anna, dann wurde sie verlegen. »Wir verstehen uns doch so gut«, murmelte sie. »Die letzten beiden Wochen in Kalkutta waren die schönsten meines Lebens.« Mit der freien Hand griff sie wieder zu dem Löffel und schrieb Kreise auf die Tischdecke.
    »Nun lass endlich den blöden Löffel.« Er nahm ihn ihr erneut fort, fasste auch ihre zweite Hand und beugte sich über den Tisch. »Ich liebe dich, Anna. Wären wir in Deutschland, würde ich dich jetzt einfach küssen.«
    Ein Räuspern ließ sie auseinanderfahren. Der Kellner war unbemerkt an den Tisch getreten und servierte ihnen die Getränke. Richtig, dachte Anna, hier in Indien muss man sich gesittet benehmen. Auch wenn es manchmal schwerfällt.
    Kim gab die Bestellung auf. Der Kellner notierte sich alles und wandte sich dann an Anna.
    »Der Sari steht Ihnen ganz ausgezeichnet«, sagte er mit einer angedeuteten Verbeugung und zog sich zurück.
    Kim hob sein Glas. »Das sehe ich ebenso: Du bist die schönste Frau im Raum, ach was, in ganz Kalkutta!«
    Anna lachte und stieß mit ihm an. »Sag doch gleich, in ganz Indien.«
    »Auf der ganzen Welt. Anna, ich bin so glücklich!«
    »Ich auch, aber ich mag gar nicht an morgen denken. Am liebsten würde ich dich einfach in meinen Koffer stopfen und mitnehmen.«
    »Ich würde mich nicht wehren, aber es ist richtig so, wie es ist. Irgendwann werden wir uns entscheiden müssen, welchem Land wir den Vorzug geben, aber fürs Erste sollten wir zusehen, dass wir die Beine auf den Boden bekommen, auch allein.«
    »Hast du keine Angst vor der Trennung?«
    »Überhaupt nicht. Es sind doch nur ein paar Monate, bis ich dich wiedersehe.«
    Sie saßen lange in dem Restaurant, redeten über das Erlebte, über Annas langsame Genesung, über Annas Väter und über die Zukunft, bis Anna plötzlich spürte, dass sich ihre Ängste und ihre Traurigkeit über den bevorstehenden Abschied von Kim in Luft aufgelöst hatten. Noch war längst nicht alles gut, noch musste sie lernen, mit all den neuen Erkenntnissen, mit ihrem neuen Leben umzugehen, doch sie hatte sich verändert: Nie mehr würde Anna ein Spielball der Umstände werden, sondern selbstbewusst ihre Ziele verfolgen. Annapurna hatte sich ihren Platz erkämpft und die Zügel in die Hand genommen.
     
    Früh am Nachmittag des nächsten Tages erhob sich das Flugzeug mit Anna an Bord in einen wolkengesprenkelten Himmel. Anna drückte die Nase gegen das Fenster. Unter ihr dehnte sich Kalkutta, und ihr Herz wurde weit. Irgendwo dort, in dem endlosen Häusermeer, lebte Kim, arbeitete Kim, wartete Kim auf sie. Was waren schon ein paar Monate, wenn das ganze Leben vor einem lag?
    Sie hatte es Kim nicht gesagt, aber
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