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Im Schatten von Montmartre

Im Schatten von Montmartre

Titel: Im Schatten von Montmartre
Autoren: Léo Malet
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geglänzt habe: Schriftsteller,
Maler, Kunstsammler, Gerichtsgutachter — einer von jenen Psychiatern also, die
überall Verrückte sehen, nur nicht auf der Anklagebank — , stellvertretender
Direktor des Gefängniskrankenhauses, allgewaltiger Chef einer Privatklinik, all
das war er gewesen, gleichzeitig oder hintereinander. Aber auch er hatte eine
berufliche Schlappe hinnehmen müssen. Einmal nämlich hatte er eine gewagte,
selbstentwickelte Therapie bei seinen Geisteskranken angewandt: Er hatte mit
einigen seiner Patienten Filme gedreht. Diese Kurzfilme sollten „beruhigend“
und „einschläfernd“ wirken. Als ob es nicht schon genug Einschläferndes in den
Filmen der Nouvelle Vague gäbe! Wie dem auch sei, dieses Rezept aus
seiner medizinisch-künstlerischen Küche hatte nichts gebracht, und alle waren
so verrückt wie zuvor gewesen... Kino! Ich dachte darüber nach, daß es einem
mit Situationen und Menschen genauso ergeht wie mit einem unbekannten Wort, das
man für sich neu entdeckt: Danach hört und liest man es überall.
    An diesem Punkt meiner Überlegungen kamen Coulon
und Clarimont aus Simones Zimmer zurück.
    „Sie schläft“, berichtete der Arzt. „Es ist
nichts Ernstes. Sie hat tatsächlich Rauschgift genommen...“ Um welche Droge es
sich handelte, verriet er mir nicht. Unwichtig. Ich würde ihn danach fragen,
falls es nötig werden sollte. „Im Moment befindet sie sich in der zweiten
Phase. Es sind aber keine ernsthaften Auswirkungen zu befürchten. Bei guter
Pflege... Wir müssen abwarten.“
    Inzwischen hatte Coulon, der sich wieder unter
Kontrolle hatte und sich an die guten Sitten und Bräuche erinnerte, uns einen William
Lawson’s eingeschenkt. Eine ausgezeichnete Idee! Wir konnten alle eine kleine
Stärkung gebrauchen. Vor allem ich. Der Arzt trank sein Glas wie ein
Erwachsener in einem Zug leer. Dann sagte er:
    „Simone könnte hier gepflegt werden, aber besser
wäre sie in einer Klinik aufgehoben. Ich werde so bald wie möglich mit Dr.
Moneglia telefonieren. Seine Polyklinik hat den besten Ruf. Ich werde
veranlassen, daß Simone morgen dort aufgenommen wird. Und machen Sie sich keine
Sorgen, Victor! Sie ist jung und gesund und wird sich schnell wieder erholen.
Vielleicht wird sie sich später nicht einmal mehr an das Geschehene erinnern...
Apropos... Was ist denn eigentlich geschehen?“
    Ich sah fragend zu Coulon hinüber. Diesem
Clarimont alles auf die Nase zu binden, schien mir riskant zu sein. Schließlich
hatte er stets auf der Seite der Stärkeren gestanden und würde möglicherweise
einige meiner Aktionen mißbilligen.
    „Nur zu, Burma“, ermunterte mich Coulon. „Dr.
Clarimont ist ein Freund. Sie können offen vor ihm sprechen.“
    „Schön. Also, meine Herren, anscheinend hat sich
Folgendes abgespielt“, begann ich. „Von dem Wunsch besessen, zum Film zu gehen,
hat sich Ihre Tochter die Märchen des Kameramannes Emile Prunier angehört. Ich
brauche Sie nicht zu fragen, ob Sie den Herrn kennen; denn dann hätten Sie
seinen Namen sicherlich auf die Liste der Freunde von Mademoiselle gesetzt.“
    „Nie gehört, den Namen“, murmelte Coulon. „Und
Sie, Paul?“
    Ich wußte nicht recht, warum er dem Arzt diese
Frage stellte. Doch dann dachte ich an die berühmte Spezialtherapie des
Psychiaters. Bei seinen Filmehen hatte Clarimont tatsächlich entsprechende
Fachleute benötigt...
    „Ich auch nicht“, erwiderte der Brillenträger
mit seinem beruhigenden Lächeln, das mich so langsam nervös machte. „Hab schon
lange keine Aufnahmen mehr gemacht.“
    Ich fuhr fort:
    „Sie muß Prunier kennengelernt haben, als sie
Mademoiselle Cargelo im Studio besuchte. Sie haben mir erzählt, daß sie die
Schauspielerin bis in die Studios verfolgt hat, nicht wahr? ... Nun, wo sie ihn
kennengelernt hat, ist nicht so wichtig. Wichtig ist, daß Ihre Tochter sich von
Prunier einwickeln und zu ihm nach Hause hat locken lassen. Rue des Mariniers,
14. Arrondissement. Anscheinend haben sie eine Woche lang keinen Fuß vor die
Tür gesetzt und mehr oder weniger im siebten Himmel geschwebt.“
    „Rue des Mariniers?“ wiederholte Coulon verwundert.
„Und der Brief, den ich aus Cannes bekommen habe?“
    „Den kann irgendein Freund des Kameramannes dort
in den Briefkasten geworfen haben.“
    „Wenn ich den zu fassen kriege!“ knurrte Coulon
und ballte seine riesigen Fäuste.
    „Ich habe Ihnen doch schon gesagt, daß das
bereits erledigt ist! Irgend jemand hat ihm heute nacht zwei Kugeln in
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