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Im Schatten von Montmartre

Im Schatten von Montmartre

Titel: Im Schatten von Montmartre
Autoren: Léo Malet
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rief
Coulon. „Solche außergewöhnlichen Erfolge stellen für leichtsinnige Mädchen wie
meine Tochter eine große Gefahr dar. Sie sagen sich: ‚Warum nicht auch ich?’
Und los geht’s! Kennen Sie Rita Cargelo?“
    „Den italienischen Filmstar?“ Er nickte lebhaft.
„Nun, ich kenne sie, so wie alle Welt sie kennt. Hab sie in zwei oder drei
Filmen gesehen.“
    Offen gesagt, ich hatte sie nur einmal gesehn,
und das hatte mir gereicht. Man bezeichnete sie als die große Konkurrentin von
Sophia Loren. Zu Unrecht, wie ich meinte. Mein Typ war sie jedenfalls nicht,
trotz ihres unleugbaren Schauspieltalents. Meine transalpine Begeisterung
konzentriert sich auf Sophia Loren, Gina Lollobrigida und Claudia Cardinale.
Sie geizen nicht mit ihren Reizen, was meinen müden Augen stets guttut. Rita
Cargelo dagegen... Wo andere Filmsternchen am liebsten drei Brüste hätten, um
möglichst viel zur Schau zu stellen, setzte sie auf die Kontrastkarte. Ein
Dekolleté besaß sie praktisch nicht, ihre Beine verschwanden unter fast
bodenlangen Kleidern, und wenn das Drehbuch unbedingt so etwas wie ein
Handgemenge verlangte, so konnte man eventuell etwas Haut blitzen sehen. Aber
wirklich nur blitzen, mehr nicht! Und die sensationshungrige Menge strömte wie
eine Schafherde ins Kino, in der Hoffnung, eben dieses Blitzen zu erhaschen.
Ein raffinierter Geizhals, diese Rita Cargelo! Doch kommen wir wieder auf
Victor Coulon zurück:
    „Das ist eine nette Frau!“ rief er. „Auch wenn
sie der Erfolg verwöhnt hat und sie sich vielleicht nicht immer korrekt
verhält, ohne es zu wollen... Jedenfalls hat sie alles versucht, um Simone die
Illusion auszureden. Aber meine Tochter ist störrisch wie ein Esel. Sie will
nichts davon hören und bedrängt Rita, daß es nicht mehr feierlich ist. Rita
soll sie den Produzenten empfehlen. Bis in die Studios ist sie ihr
hinterhergelaufen... Wissen Sie, daß Rita begonnen hat, in Paris einen Film zu
drehen, und daß noch weitere folgen sollen? Bisher hat sie noch nie in
Frankreich gearbeitet. Warum, weiß ich nicht. Sie hat in Rom gedreht, in London,
in Hollywood, aber noch nie hier bei uns. Wahrscheinlich ist das ‘ne Geldfrage.
Na ja, jetzt tut sie’s! Schließlich kann sie ihrem eigenen Land nicht auf ewige
Zeiten die kalte Schulter zeigen, oder? Ich freue mich für Rita. Für sie und
für alle anderen. Aber meiner Tochter tut das gar nicht gut.“
    Er sprach von der Schauspielerin wie von einer
alten Bekannten. Zählte er etwa zu ihren Freunden?
    „Zählen Sie zu den Freunden von Rita Cargelo?“
fragte ich ihn.
    „Das könnte man so sagen, ja.“
    Seine Brust schwoll vor Stolz an. Er wollte zwar
nicht, daß seine Tochter zum Film ging, war aber mächtig stolz darauf, einen
Leinwandstar näher zu kennen. So ist das nun mal!
    „Wir haben ein paar Weekends miteinander
verbracht“, erklärte er. „Genauer gesagt, ich bin ein Freund ihres zukünftigen
Mannes, Louis Rigaud, des Schiffsreeders. Sie haben doch sicher schon davon
gehört, oder?“
    „Von der bevorstehenden Hochzeit? Allerdings!
Die Jahrhunderthochzeit des Jahres...“
    „Und von Rigaud?“
    „Von dem auch, gezwungenermaßen. Der Bräutigam
des Jahres... oder des Jahrhunderts, was weiß ich. Er ist Reeder, sagten Sie?“
    Ich fragte das, um etwas zu sagen. Da wir nun
schon mal ein künstlerisch-mondänes Gespräch begonnen hatten, konnten wir es
auch fortsetzen. Ich hatte schon alle Hoffnungen aufgegeben, daß der dicke
Coulon mich über Anlaß und Ziel seines Besuches aufklären würde.
    „Ja, ja“, erwiderte er stolz. „Ein riesiges
Unternehmen! Mehrere Schiffe in jedem Hafen, wie man so sagt. Wir arbeiten seit
langem zusammen. Das heißt, ich habe vor allem mit seinem Vater
zusammengearbeitet. Jetzt, wo der tot ist, mache ich mit dem Sohn weiter, den
ich übrigens schon von Kindesbeinen an kenne. Na ja, kurz und gut, er hat uns
seine Zukünftige vorgestellt, und seitdem ist Simone völlig aus dem Häuschen.
Hat sie doch immer schon vom Film geträumt! Für sie ist es wie ein
Himmelsgeschenk. Und jetzt... Jetzt hat sie mich verlassen...“
    Er reichte mir einen Brief. Ich las:
     
    Lieber Papa,
    ich weiß, daß ich Dir damit Kummer bereiten
werde, aber ich muß mein eigenes Leben leben. Ich will nämlich ein
internationaler Star werden.
    Ich küsse und umarme Dich
    Simone.
     
    „Haben Sie jemals etwas Blödsinnigeres gelesen?“
fragte mich der dicke Mann, um dann, ohne meine Antwort (ein entschiedenes
„Ja“) abzuwarten,
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