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Im Schatten von Montmartre

Im Schatten von Montmartre

Titel: Im Schatten von Montmartre
Autoren: Léo Malet
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Hochparterre ließen
schwaches Licht nach außen dringen. Kein Laut war zu hören.
    Die Tür zwischen den beiden verfallenen
Mauersäulen war nur angelehnt. Ich stieß sie auf. Eine Katze, die unter einem
Fliederstrauch wohl auf ein Liebesabenteuer wartete, nahm bei meinem Anblick
Reißaus, wobei sie irgendeinen alten Eimer umwarf, der gar nicht wieder zu
scheppern aufhörte. Fast im selben Augenblick startete ein Auto weiter unten
auf der Straße oder in einer Nebenstraße.
    Ich bewegte mich nicht. Die Stille kehrte
zurück, und ich durchquerte den Garten. Die Haustür war ebenfalls nur
angelehnt.
    Das erste Zimmer, das von dem winzigen Korridor
ausging, war ein sogenannter living-room, was ich an den Möbeln erkennen
konnte. Eine Lampe mit rosa Schirm schüttete ihr Licht über den Juteteppich mit
orientalischem Muster aus.
    Ein living-room ist ein Raum, in dem man
lebt. Hier allerdings lag ein Toter.

Probeaufnahme
     
     
    Bekleidet mit einem hübschen, zartblauen Pyjama,
auf den in Höhe des Herzens ein Monogramm gestickt war, am rechten Fuß einen
roten Lederpantoffel — der andere war in die Ecke geflogen — , lag Prunier
Emile, Kameramann — denn nur um ihn konnte es sich handeln — neben einem
umgekippten Stuhl auf dem Rücken, mitten im Zimmer. Er war wirklich nicht schön
anzusehen. Zwei Kugeln mitten ins Gesicht zu kriegen, das entstellt entsetzlich
die Züge. Ganz abgesehen von dem Blut, das immer alles versaut. Ich faßte
seinen nackten Fuß an. Er war noch warm.
    Ich ging zur Haustür zurück und verriegelte sie,
um nicht gestört zu werden. Sicher, das Ganze hier stank nach einer faulen
Angelegenheit, und ich hatte nicht übel Lust, mich aus dem Staub zu machen.
Doch ich mußte unbedingt etwas Licht in diese dunkle Geschichte bringen. Auf
dem Weg zurück ins Totenzimmer entdeckte ich das Telefon. Es stand in einer
Nische unter der Treppe, die nach oben führte. Das alphabetische Telefonbuch,
Band 1, lag auf dem Boden. Sah aus, als hätte es jemand nicht für nötig
gehalten, es nach Gebrauch wieder zurück an seinen Platz zu legen. In diesem
Telefonbuch stand auch mein Name. Das ließ darauf schließen, daß Simone mich
von hier aus angerufen hatte.
    Unter der Treppe befand sich eine Tür. Ich
öffnete sie und betrat ein dunkles, nach Parfüm duftendes Zimmer. Ich tastete
nach dem Lichtschalter, fand ihn und machte Licht. Eine Deckenlampe leuchtete
auf... Kalter Schweiß lief mir den Rücken hinunter. Ich konnte seinen faden
Geruch beinahe riechen.
    Simone Coulon lag auf einem zerwühlten Bett,
fast nackt, nur mit einem verrutschten Négligé bekleidet. Ihr blutleeres Gesicht
hob sich von der rötlichen Masse ihres aufgelösten Haares ab. Auch sie schien
reif für das Leichenschauhaus zu sein. Die leblos herunterhängende Hand hielt
einen Revolver, dessen Lauf den Bettvorleger berührte.
    Ich beugte mich über sie und stellte erleichtert
fest, daß sie nur betäubt war, vollgepumpt mit irgendeiner Droge. Auf dem
Nachttischchen, neben einem von Zigarettenkippen überquellenden Aschenbecher,
lag eine Spritze. Die weitaufgerissenen Augen des Mädchens starrten mich leblos
an. Ein dünner Speichelfaden lief aus ihrem hochgezogenen Mundwinkel. Ihre Nase
ragte spitz aus ihrem Gesicht hervor.
    Nicht ohne Mühe entwand ich ihren Fingern die
Waffe, einen 22er Revolver mit langem Lauf, der frei im Handel erhältlich und
wahrscheinlich gegen Prunier gerichtet worden war. Ich hätte ihn einstecken
können, doch da er wohl kaum dem jungen Mädchen gehörte, hielt ich es für
besser, meine Situation nicht dadurch zu verschlimmern, daß ich die Tatwaffe
verschwinden ließ. Ich begnügte mich damit, sie sorgfältig abzuwischen, und
warf sie in den living-room , neben die Leiche. Dann ging ich zum Telefon
und rief Simones Vater an. Victor Coulon schlief noch halb, doch als er meinen
Namen hörte, war er sofort hellwach.
    „Ich habe Ihre Tochter gefunden“, sagte ich.
„Sie ist bei einem Mann namens Prunier untergekrochen, einem charmanten
Kameramann. Kann sich nicht mehr auf den Beinen halten, Ihre Tochter.
Vermutlich Rauschgift. Sie braucht einen Arzt. Wenn Sie einen kennen, der sich
überreden läßt, sein Bett zu verlassen und zu Ihnen nach Hause zu kommen, rufen
Sie ihn an! Ideal wäre ein Freund von Ihnen, ein Arzt Ihres Vertrauens, diskret
und so. Wäre das möglich?“
    „Ja, aber...“
    „Später. Lassen Sie Ihr Personal aus dem Spiel.
Ich bringe Ihnen sofort Ihre Tochter. Rufen Sie einen Arzt an und
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