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Im Schatten des Mondkaisers (German Edition)

Im Schatten des Mondkaisers (German Edition)

Titel: Im Schatten des Mondkaisers (German Edition)
Autoren: Bernd Perplies
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älter war als sie.
    Caryas Mutter freute sich jedenfalls für ihre Tochter. Das sah Carya ihr an, wenn die Blicke von Andetta Diodato auf ihr und Jonan ruhten. Ihr Vater hatte zu ihrer Beziehung zu einem flüchtigen Templersoldaten noch nichts gesagt. Aber dass Jonan sie alle buchstäblich vom Galgen gerettet hatte, musste es auch dem einst eher konservativ eingestellten Edoardo Diodato schwer machen, ablehnende Gefühle für ihn zu empfinden.
    »Da seid ihr ja«, sagte Caryas Vater. »Es geht gleich los. Der Priester ist im Inneren des Tempels. Er sagte, sobald du eintriffst, Carya, sollst du zu ihm kommen.«
    »Ich?«, wunderte sich Carya.
    »So sagte er es.«
    Carya wechselte einen fragenden Blick mit Jonan.
    Der zuckte mit den Schultern. »Geh ruhig. Vielleicht benötigt er deine Unterstützung als Tochter des Himmels, um seinen Leuten die bevorstehende Entscheidung leichter zu machen.«
    »Das mag es sein.«
    Ratlos stieg Carya die drei steinernen Stufen zu dem scheunentorgroßen Portal des tempelartigen Bauwerks hinauf. Ein Wächter öffnete das Portal gerade so weit, dass sie hindurchschlüpfen konnte. Im Halbdunkel, das sie dahinter empfing, stand Ordun alleine vor dem zweieinhalb Meter hohen, weißsilbrigen Zylinder der Kapsel. Er hatte die Hände gefaltet und den Kopf gesenkt. Es sah aus, als sei er ins Gebet oder zumindest in tiefe Kontemplation versenkt.
    Als er Carya nahen hörte, wandte er sich zu ihr um. »Tochter des Himmels …«
    Carya seufzte leise. »Wann werden Sie endlich aufhören, mich so zu nennen?«
    »Wenn die Gemeinschaft Euch nicht mehr braucht.«
    »Aber sie braucht mich doch gar nicht«, wandte Carya ein. »Es war immer nur eine Idee, zu der Sie gebetet haben. Um mich ging es dabei gar nicht. Und ich kann auch gar nichts für diese Menschen tun. Eigentlich bin ich nur eine Gefahr für sie. Das haben wir doch erlebt. Solange Jonan und ich bei Ihnen sind, wird der Lux Dei Soldaten schicken, um uns zu holen. Es wäre besser, wenn Sie uns ziehen ließen.«
    »Ich weiß … Carya«, gestand Ordun. »Aber bevor du gehst, musst du mir helfen. Unsere Gemeinschaft lebt seit vielen Jahren in diesem Dorf. Meinen Leuten wird es nicht leicht fallen, es zu verlassen. Sie brauchen ein Licht, dem sie folgen können. Dieses Licht musst du ihnen bieten.«
    Unwillkürlich runzelte Carya die Stirn. »Aber wie soll ich das anstellen?«
    »Ich werde es dir sagen …«

Kapitel 3
    W enige Augenblicke später traten sie aus dem Dunkel des kleinen Tempels hinaus auf die Stufen. An dieser Stelle hatte der Stammesführer und Priester Carya, Jonan und Pitlit vor nicht einmal zwei Wochen willkommen geheißen. Nun mussten sie wieder Abschied nehmen, und dazu auf eine Art und Weise, die Carya Bauchschmerzen verursachte.
    Auf dem Dorfplatz wurde es still, und alle Augen richteten sich auf Ordun und sie. Carya klopfte das Herz bis zum Hals. Sie kam sich vor wie bei einer Theateraufführung zum Schuljahresabschluss in der Akademie des Lichts. Sogar dass ihre Eltern in der ersten Reihe standen, passte dazu. Allerdings ging es in diesem Moment nicht um die Belustigung des Publikums, sondern darum, es vor eine unerfreuliche Wahl zu stellen, die eigentlich gar keine war.
    »Danke, dass ihr alle gekommen seid«, hob Ordun zu sprechen an. »Die meisten von euch wissen es sicher bereits: Heute Morgen wurde ein Spion unserer Feinde oben in den Hügeln entdeckt. Er hat unser Dorf beobachtet und wollte sein Wissen an seine Herren in der großen Stadt weitergeben. Wir haben ihn daran gehindert. Er ist tot und stellt keine Bedrohung mehr für uns dar.«
    Der Stammesführer ließ seinen Blick über die Männer, Frauen und Kinder schweifen. Ein tiefer Ernst lag auf seinen Zügen. »Aber das heißt nicht, dass wir außer Gefahr sind. Die Stadtmenschen sind voller Niedertracht. Sie haben uns ein Mal überfallen, und ich fürchte, dass sie uns wieder angreifen werden. Unser Leben ist nicht mehr sicher. Daher sage ich euch: Wir ernten alles, was es noch zu ernten gibt, sammeln alles, was es noch zu sammeln gibt. Und dann packen wir das, was wir brauchen werden, und das, woran unser Herz hängt, ein und verlassen diesen Ort. Wir ziehen hinaus in die Wildnis.«
    Bei diesen Worten entstand merkliche Unruhe unter den Ausgestoßenen. Carya sah in erschrocken geweitete Augen und ungläubige Gesichter. Einige wandten sich ihrem Nachbarn zu, als wollten sie ihn bitten, sie zu zwicken, nur um sicherzugehen, dass das alles nicht ein böser Traum
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