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Im Schatten des Mondkaisers (German Edition)

Im Schatten des Mondkaisers (German Edition)

Titel: Im Schatten des Mondkaisers (German Edition)
Autoren: Bernd Perplies
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noch wie ein Wesen aus Fleisch und Blut aus. Wie hatte Cartagena es ausgedrückt? Der Mondkaiser hatte sich selbst vom Menschen zur Legende erhoben. In Momenten wie diesen erkannte Carya, was damit gemeint war.
    Der Kaiser vollführte eine knappe Geste, und das Publikum setzte sich wieder. »Höret, Volk von Francia«, rief der Herold, kaum dass Ruhe im Saal eingekehrt war. Er hielt ein Schriftstück in der Hand, von dem er ablas. »Der Mondkaiser wird Urteil sprechen. Über Julianne Factice, ehemalige Ministerin bei Hofe, und über Carya Diodato, Jonan Estarto und den Jungen Pitlit, Gäste auf Château Lune. Der Anlass ist folgender: In den heutigen Nachmittagsstunden kam es zu einem Anschlag auf seine Majestät, durchgeführt von einem Zirkel aus Verschwörern, die das bevorstehende Bündnis der Krone mit dem Orden des Lux Dei verhindern wollten. Der Drahtzieher der Intrige war Ambassadeur Haron Cartagena, Botschafter der Ostallianz. Zu seinen Mitverschwörern zählten Minister Armand Justeneau und Ministerin Julianne Factice. Ihr Werkzeug war Carya Diodato. Minister Justeneau wurde während des gescheiterten Anschlags getötet, ebenso Botschafter Cartagena. Beide werden verbrannt, und ihre Asche wird in der Trümmerzone verstreut. Es soll künftig kein Bildnis und keine ehrenvolle Erinnerung mehr an sie geben.«
    Beifälliges Gemurmel begleitete diese Worte. Anscheinend hatten weder der Minister noch der Botschafter viele Freunde bei Hofe besessen.
    »Während des Zwischenfalls wurde außerdem die Sondergesandte des Lux Dei Neve Arida getötet. Die Delegation aus Arcadion unter der Leitung von Paladin Julion Alecander hat sich daher umgehend auf den Rückweg gemacht, damit ihr Leichnam in der Heimat beigesetzt werden kann. Seine Majestät bedauert dieses Opfer zutiefst und hofft, dass das Bündnis mit unseren Freunden in Arcadion deswegen nicht beschädigt wird.«
    Carya runzelte die Stirn. Irgendwie war es seltsam, dass hier der Kaiser sprach, ohne auch nur ein Wort selbst zu sagen. Stumm und reglos wie eine Statue saß er auf seinem Thron und ließ den Herold reden. Aber auch das musste ein Teil seiner eigenen Inszenierung sein, denn niemand sonst wunderte sich darüber.
    »Des Weiteren kamen während des Zwischenfalls drei Soldaten der kaiserlichen Garde zu Tode. Ihnen wird ein Ehrenbegräbnis auf dem Soldatenfriedhof zuteil.« Der Herold hielt kurz inne und wechselte auf die nächste Seite seiner Textvorlage. »Kommen wir nun zur Urteilsverkündung.«
    Das geht hier ja noch schneller als in Arcadion , dachte Carya verblüfft. Dort bekam man zumindest einen Schauprozess zugestanden. Aber mit einem Kaiser wurde offenbar nicht diskutiert.
    Der Herold richtete den Blick auf die neben Carya sitzende Ministerin. »Julianne Factice, angeklagt des Hochverrats gegen die Krone, wird hiermit zum Tode durch Enthauptung verurteilt.«
    Ein Raunen ging durch das Publikum. Für Caryas Ohren klang es so, als freuten sich einige schon jetzt auf das Spektakel. Sie warf Factice einen verstohlenen Seitenblick zu. Die Invitro saß mit steifem Rücken auf ihrem Stuhl, ihre Miene war eine ausdruckslose Maske. So sah man also aus, wenn man dem Tod gefasst ins Auge blickte.
    »Angesichts der jahrelangen Treue zur Krone und der herausragenden Arbeit im Dienste Francias«, fuhr der Herold indessen fort, »wird diese Strafe in lebenslange Verbannung umgewandelt.« Erneutes Gemurmel setzte ein, über das der Mann jedoch einfach mit erhobener Stimme hinwegrief. »Die Angeklagte wird aller Rechte und Privilegien enthoben. Alle Besitztümer werden gepfändet. Nur in ein Büßergewand gekleidet und mit einem Laib Brot und einer Flasche Wasser wird sie in die Wildnis geschickt. Eine Rückkehr nach Château Lune oder in den Bereich seiner Liegenschaften wird mit dem Tod geahndet.«
    Da die Unruhe im Publikum nicht verebben wollte, gab der Mondkaiser seinen Wachen ein Zeichen, woraufhin diese ihre Gewehrkolben auf den Marmor schlugen, bis erneut Stille im Saal eingekehrt war.
    »Pitlit«, wandte sich der Herold überraschend zuerst an den Straßenjungen. »Auf das widerrechtliche Eindringen ins Kaiserschloss, ohne Diebstahl oder sonstige negative Folgen für Hof und Hofstaat, stehen zehn Peitschenhiebe auf den blanken Rücken.«
    »Vergiss es«, brummte Pitlit leise. »Ich hab genug eingesteckt in den letzten Tagen.«
    »Angesichts des tapferen und uneigennützigen Eingreifens zum Schutz der Krone wird diese Strafe jedoch vollkommen ausgesetzt.
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