Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Schatten des Krans: Ein historischer Kriminalroman aus Hamburg (German Edition)

Im Schatten des Krans: Ein historischer Kriminalroman aus Hamburg (German Edition)

Titel: Im Schatten des Krans: Ein historischer Kriminalroman aus Hamburg (German Edition)
Autoren: Jürgen Rath
Vom Netzwerk:
gegen das Gebot der christlichen Nächstenliebe.«
    Diesem Argument hatte Madame wenig entgegenzusetzen. Cäcilie war angetan von den scharfsinnigen Ausführungen ihres Vaters, auch wenn er wieder einmal einen Gott ins Boot geholt hatte, an den er selbst nicht glaubte.
    Lohndiener Ludwig hatte daraufhin einen Gegenvorschlag gemacht, den Madame wohlwollend aufgriff. Es war neben einigen Musikern auch ein Tanzmeister engagiert worden. Unter dessen Anleitung tanzte nun die Jugend mit Begeisterung, vor allem die neuen Tänze. Nach einiger Zeit der Zurückhaltung gesellten sich auch Herrschaften der älteren Generation hinzu, gaben jedoch bald wieder auf, da ihnen die Musik dann doch zu schnell war.
    Madame runzelte ärgerlich die Stirn. Sie hatte sich ausdrücklich ausbedungen, nur standesgemäße Tänze zu Gehör zu bringen.
    »Ich wünsche, dass Sie auf keinen Fall einen dieser neuen Walzer spielen«, hatte sie dem Tanzmeister gleich zu Beginn des Festes eingeschärft. »Es würde unserem guten Ruf schaden, wenndurch das wilde Herumdrehen irgendjemand die Fußknöchel einer Mademoiselle sehen könnte.«
    Doch gerade jetzt spielte die Kapelle einen solchen Walzer, weil sich der Tanzmeister des stürmischen Drängens der jungen Leute nicht hatte erwehren können. Madame wandte sich resigniert ab. Wenn sie diese Musik schon nicht verhindern konnte, so wollte sie wenigstens nicht Zeugin einer solch unzüchtigen Veranstaltung sein.
    Auch Cäcilie tobte sich aus, denn ihr waren von Madame keine besonderen Aufgaben zugeteilt worden. Mit glänzenden Augen und wogendem Busen gab sie sich ganz der Musik hin. Ihr Temperament und ihre jugendliche Frische begeisterten die Männer. Insbesondere der junge Heinrich von Hardt konnte nicht genug davon bekommen, sie zu den Klängen eines Ländlers im Kreise herumzuschwingen. Doch als er ihr auf die Terrasse folgen wollte, wo sie Kühlung suchte, gab sie ihm durch einen ziemlich abweisenden Blick zu verstehen, dass sie allein sein wollte. Nicht, dass sie ihn hässlich, dumm oder tollpatschig fand, ganz im Gegenteil. Doch heute, nach einer so langen Zeit der Abwesenheit vom Gewese, wollte sie allein und ohne Ablenkung von irgendwelchem Geschwätz den Garten genießen, den sie den ganzen Winter über so sehr vermisst hatte.
    Hier hatte sie als Kind gespielt, oft den ganzen Sommer über, wenn es der Mutter in der Stadt zu heiß, zu laut und zu unerträglich war wegen der vielen Menschen und der geruchsintensiven Gewerke. Alexander und sie waren in wilden Fangspielen durch die Beete getobt, sehr zum Leidwesen des Gärtners, der um seine Pflanzen bangte. Und wie alle anderen Kinder auch hatten sie sich in den Büschen versteckt, wenn sie ins Bett gehen sollten.
    Cäcilie schlenderte an den Blumenrabatten entlang, in die der Gärtner im Herbst ganze Karren von Blumenzwiebeln versenkt hatte und auf denen jetzt die Osterglocken, zu hübschen Mustern angeordnet, ihre gelbe Pracht entfalteten.
    Die Rosenstöcke hatte man zwar von ihrem Winterschutz befreit, doch noch standen sie kahl und stachelig in der Erde. Nur die Knospen zeugten davon, dass sie nicht abgestorben waren. Das allerdings konnte man von diesem neuen Baum nicht behaupten, den der Vater erst vor zwei Monaten aus Brasilien bekommen hatte. Was das für eine Pflanze sei, hatte Cäcilie gefragt. Der Gärtner hatte nur mit den Schultern gezuckt. Ob der Baum wohl noch anwachse, war die nächste Frage. Wieder hatte der Gärtner mit den Schultern gezuckt.
    Endlich war sie an dem kleinen Teich angekommen. Hier durften die Kinder die kleinen Holzboote schwimmen lassen, die der Gärtner für sie geschnitzt hatte. Drei Boote waren es gewesen: eines für sie, eines für Alexander und eines für Justin. Einmal war der Kleine ins Wasser gefallen, doch Alexander hatte ihn schnell herausgefischt, was nicht schwierig war angesichts der geringen Wassertiefe.
    Solch einen Schutzengel hätte Justin noch einmal bitter nötig gehabt, dachte Cäcilie, als er sich mit seiner Mutter auf die Reise nach England machte. Doch die Nordsee war kein Gartenteich und vor Borkum hätte auch Alexander ihn nicht retten können. Ohne sich dagegen wehren zu können, sah sie Justin vor sich, wie er wasserleichenblass, fast durchsichtig, durch die Nordsee trieb und sie aus leeren Augenhöhlen anstarrte. Sie schniefte in ihr Tuch und tupfte sich die Augen.
    Mit langsamen Schritten steuerte sie die Gartenlaube an, wo sie sich ausruhen, auf den Teich schauen und sich ihrer
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher