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Im Schatten des Klosters - Historischer Roman

Im Schatten des Klosters - Historischer Roman

Titel: Im Schatten des Klosters - Historischer Roman
Autoren: Richard Dübell
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Kloster herum? Hier würde keiner auf ihn aufmerksam werden.
    Ecco …
    Er musste einen Weg in die Stadt finden.

Kapitel 5.
    D ie Stadt, die große, sündige Stadt … Ulrich hatte noch immer die Warnungen Fredegars im Ohr. Wie hatte er sich nur zu diesem grässlichen Abenteuer melden können?
    Er hockte vor seinem Lager und betrachtete seine Schätze. Das Dormitorium war leer, die Brüder bei ihren jeweiligen Aufgaben, denen sie heute, nach der Entdeckung am frühen Morgen, gewiss nicht mit der üblichen Konzentration nachkamen. Ulrich war nicht unglücklich über das seltene Privileg, mit sich und seinen Gedanken allein sein zu können.
    Er fuhr mit einem Finger die wulstigen Rillen der Jakobsmuschel nach. Sie hatte ihn vor vielen Jahren nach Compostela geleitet und sicher wieder zurückgebracht. Doch um der Wahrheit die Ehre zu geben, hatte wohl eher die Anwesenheit der zwei Dutzend anderen Mönche und der bewaffneten Begleiter, die der Abt des Klosters von Otterberg (zu dem die Mönche von Sankt Albo schon damals eine enge Verbindung gehabt hatten) sich hatte leisten können, für die sichere Reise der pilgernden Klosterbrüder gesorgt. Ulrich war dennoch geneigt, die Jakobsmuschel als seinen Leitstern zu betrachten.
    Mittlerweile war sie in drei Teile zerbrochen. Ulrich fügte die Bruchstücke mit einem Gefühl der Wehmut wieder aneinander und kniff die Augen zusammen, damit die Bruchlinien verschwommen erschienen und die Muschel unversehrt aussah. Daneben hatte er den Pergamentfetzen gelegt, den er in seinen ersten Wochen als neuer Archivar beim Säubern und Neuordnen der Regale gefunden hatte. Ein unbekannter Künstler, wahrscheinlich längst zu Staub zerfallen, hatte darauf den Entwurf einer Illumination gezeichnet, einen wundersam verzierten Buchstaben A, wie Albo, wie Anfang, wie Alles wird gut. Der Entwurf war farblos bis auf ein kräftiges Gelb, mit dem der Künstler den späteren Goldauftrag imitiert hatte, doch er war sehr schön und ließ erkennen, von welcher Pracht das vollendete Kunstwerk sein musste, das Ulrich jedoch in keinem der ihm anvertrauten Codices gefunden hatte. Der Pergamentfetzen schien ganz für sich allein ins Archiv gelangt zu sein, ohne jede Verbindung zu sonst etwas um ihn herum. Darin sah Ulrich eine gewisse Verwandtschaft zu sich selbst, weshalb er das Stück Pergament in Besitz genommen hatte und was ihn ganz natürlich zum dritten seiner Schätze führte: dem Kapuzenmantel in der Größe für ein sechsjähriges Kind.
    Er war so mürbe, dass er sich entlang der Faltkanten bereits auflöste, und die Ränder faserten aus. Ulrich strich vorsichtig mit dem Finger darüber. Als er hochsah, blickte er in Bruder Fredegars helle Habichtsaugen. Der alte Torhüter lächelte dünn.
    »Puer oblatus«, sagte er und wies auf das kindliche Kleidungsstück.
    Ulrich zuckte mit den Schultern. »Der Grundherr meiner Familie besaß einen alten geschnitzten Baumstumpf, der direkt vor dem Tor zu seinem castrum stand – du weißt schon, einem der Überreste von den Bäumen der Heiden, die die heiligen Missionare fällten …«
    Fredegar nickte. »Zopfmuster oder Schlangen, die sich endlos drum herum winden und weder Anfang noch Ende finden.«
    »Genau so. Wenn du Bibeln aus den Kopierstuben von Clonmacnoise oder Lindisfarne ansiehst, findest du solche Motive in den Illuminationen wieder … Ich weiß gar nicht, ob der heilige Inhalt diese heidnischen Muster im Nachhinein läutert oder ob sie im Gegenteil die Botschaft unseres Herrn Jesus Christus beschmutzen. Erstaunlicherweise waren es ja gerade die Missionare aus Irland, die sich am meisten mit dem Baumfällen hervorgetan haben, und jetzt zeichnen die Illuminatoren in ihren Klöstern …«
    »Was war mit dem Baumstumpf vor dem Tor deines Grundherrn?«, unterbrach Fredegar geduldig.
    »Er war das Symbol für seine Herrschaft und die Zusammengehörigkeit seines Besitzes. Auf diesem Stumpf erhielt jeder neue Pächter die commendatio, jedes neugeborene Kind wurde darauf getauft, jede Hochzeit darauf besiegelt, und jeder Tote legte auf dem Weg zum Grab eine Pause darauf ein. Niemand wusste, wie es dazu gekommen war, aber sowohl der Herr als auch wir handelten danach, und alle fühlten, dass es recht war.«
    »Ich habe Ähnliches in der Normandie gesehen, nur dass sie dort noch verrücktere Rituale pflegten. Der Herr musste vor jeden Ausritt oder beim Zurückkommen so und so oft um einen behauenen Stein reiten, erst in die eine, dann in die andere
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