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Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Im Schatten des Feuerbaums: Roman

Titel: Im Schatten des Feuerbaums: Roman
Autoren: Carla Federico
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Elvira nunmehr nicht mit schrillem, sondern beleidigtem Tonfall, dass all jene Horden keine Einheimischen wären, sondern Besucher aus Santiago, die den Sommer am Strand verbracht hatten und nun in die Hauptstadt zurückkehrten. In Viña del Mar würde es dieser Tage hingegen wieder etwas ruhiger werden, die Hoffmanns hätten dort auch ein Chalet besessen, doch weder Emilia oder Arthur noch jetzt Victoria wollten dort leben.
    Sie schüttelte Kopf: Offenbar war alles, was Victoria tat oder eben nicht, ein steter Quell von Ärgernis.
    Aurelia musterte das Ehepaar Kreutz eingehender. Ludwig wirkte nicht nur missmutig, sondern mit dem pomadisierten Haar und der eng gebundenen Schleife um den Hals sehr penibel. Wahrscheinlich war er einst darum Apotheker geworden, weil man als solcher jedes noch so kleine Tröpfchen und Körnchen abzuwiegen hatte. Vage erinnerte sie sich daran, wie Victoria bei einem Besuch in Patagonien, der gewiss schon über sechs Jahre zurücklag, über das Ehepaar Kreutz gelästert hatte. »Er ist so steif, als habe er einen Stock geschluckt – und ihre Stimme klingt wie das Quietschen von Rädern, die man zu lange nicht geölt hat.«
    Es muss schrecklich für Victoria sein, ihnen jetzt, nach dem Unglück, mit Haut und Haaren ausgeliefert zu sein, ging es Aurelia durch den Kopf.
    »Du bist gewiss erschöpft von der langen Reise«, erklärte Elvira eben, doch bevor Aurelia etwas erwidern konnte, wiederholte sie schon die vorherige Beschwerde: dass es eigentlich einer Frau nicht anstünde, ohne Begleitung zu reisen. »Ich weiß nicht, wie es sich in Patagonien verhält«, erklärte sie schnippisch, »aber hier gilt eine Frau, die allein ausgeht, vor allem bei Nacht, als sehr unehrenhaft.«
    Aurelia hielt ihrem vorwurfsvollen Blick ungerührt stand: »Meine Eltern konnten nicht mitkommen. Sie sind schließlich mit der Schafschur beschäftigt.«
    Elvira kniff die Lippen zusammen, und in ihren Augen glomm Verachtung auf. Als Apotheker gehörten sie zu Chiles Mittelklasse – Schafzüchter in Patagonien waren in ihren Augen wohl nur einfache Bauern, auf die sie herabsehen konnte. Immerhin überwand sie sich dazu einzugestehen: »Ich bin froh, dass du hier bist. Ich werde mit Victoria einfach nicht mehr fertig.«
    Zum ersten Mal schwieg sie für längere Zeit, und Aurelia beschwor weitere Erinnerungen herauf. Ihre Mutter Rita und Victorias Mutter Emilia hatten sich einst so nahegestanden wie Schwestern. Jahrelang hatten sie die Estancia in Patagonien gemeinsam bewirtschaftet, ehe Emilia den deutschen Apotheker Arthur Hoffmann geheiratet – im Übrigen ein Vetter von Ritas Mann Balthasar – und immer mehr Zeit in Valparaíso verbracht hatte. Der Kontakt der beiden Frauen blieb eng – sie schrieben sich so oft wie möglich, aber zwischen ihren Töchtern hatte kein ähnlich festes Band entstehen können. Von dem letzten Besuch der Hoffmanns war Victoria Aurelia eher unangenehm in Erinnerung geblieben. Sie hatte ständig Fragen gestellt und alles aufmerksam beobachtet, aber über sich selbst so gut wie nichts preisgegeben. Aurelias drei jüngere Brüder Emilio, Arturo und Cornelio schienen ihr irgendwie lästig zu sein, und obwohl Aurelia sie selbst oft Quälgeister nannte, hatte sie Victorias schroffe Art ihnen gegenüber nicht gutgeheißen. Nun, vielleicht lag es daran, dass Victoria selbst keine Geschwister hatte und darum nicht wusste, wie man mit ihnen umgehen sollte. Und ganz gleich, ob sie sie damals gemocht hatte oder nicht – heute tat sie Aurelia vor allem leid. Sie war sofort bereit gewesen, auf Wunsch ihrer Eltern nach Valparaíso zu reisen und sich um Victoria zu kümmern, nachdem sie die traurige Nachricht erreicht hatte.
    »Meine Mutter meint, dass Victoria fürs Erste mit mir kommen soll«, erklärte sie, »ich meine, nach Patagonien. Es wäre gewiss eine willkommene Abwechslung.«
    Elvira schüttelte entrüstet den Kopf, und Aurelia glaubte schon, dass sie erneut ihre Verachtung für patagonische Schafzüchter bekunden würde. Aber ihr Ärger galt einem anderen Umstand: »Als ob Victoria jemals täte, was man ihr vorschlägt!«
    »Es ist doch kein Wunder, wenn Victoria in dieser Zeit etwas … durcheinander ist«, hielt Aurelia dagegen.
    »Wenn es nur die Trauer wäre!«
    »Was ist es denn noch?«
    Elvira gab keine Antwort, sondern sah hinaus, und Aurelia folgte ihrem Blick.
    Wie die meisten deutschen Familien wohnten auch die Hoffmanns in einem großen Haus am Paseo Atkinson, der
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