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Im Schatten des Elefanten

Im Schatten des Elefanten

Titel: Im Schatten des Elefanten
Autoren: Elio Vittorini
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deutet auf den dunklen Schatten unseres Hauses im Hintergrund der Ebene.
    »Hast du nie Augen für ihn gehabt, blondes Mannsbild?« sagt sie. »Hast du nie deinen kleinen Finger an seinem Daumen gemessen? Oder dein Knie an seinem Handgelenk? Heraus damit, blondes Mannsbild!« schreit sie.
    Der Mann meiner Mutter hat ihre Taille freigegeben und zieht den Kopf ein zwischen den Schultern, brummelt, daß meine Mutter ihn gleich fragen wird, ob er nie seine Fäuste an meines Großvaters Anhängsel gemessen habe.
    »Und ob ich dich danach fragen kann«, schreit meine Mutter. »Oder hast du dich, das ganze Kerlchen, jemals an seinem Glied gemessen? Das frage ich dich, du blonder Knirps. Hast du je bedacht, was für eine Figur du neben seinem Glied abgibst, du mit Haut und Haaren?«
    Einmal im Schreien, wartet sie nicht seine Antwort ab und fährt fort. Er nun ist rot geworden, weiß nichts anderes zu sagen als: »Gott, o Gott!« »So alt er jetzt auch ist«, fährt meine Mutter fort, »es befriedigt einen mehr, seine Schamteile einzuseifen, als diejenigen eines blonden Schwächlings auszumergeln, wenn du mir auf den Leib rückst. Da gibt’s gar keinen Vergleich, du Matrosenbub!« »Mein Gott!«
    »Am besten, du denkst auch nächstens dran, wenn du mir wieder auf den Leib rückst, – statt zu glauben, du imponierst mir wer weiß wie, du Matrosenbub!« »Warum denn Matrosenbub?«
    »So lernst du auch Gottesfurcht vor einer Frau, deren Vater ein richtiges Glied hat und nicht ein …« »Was?« fällt ihr der Gatte ins Wort, der sich die Haare rauf. Und er blickt zu meiner Schwester, blickt zu mir. »Vergeßt, daß es eure Mutter ist«, sagt er zu uns. »Vergeßt, daß sie solch eine Sprache vor ihren eigenen Kindern führt.«
    »Zu vergessen brauchen sie nichts«, sagt meine Mutter. Mit stolzer Gewißheit blickt sie uns an; sicherlich denkt sie dabei, welch ein Glücksfall es für uns ist, sie zur Mutter zu haben, sie, die im Verhältnis ebenso beschaffen ist, wie es unser Großvater war; ihre Wut aber ist vorbei, und sie schüttelt sich die Haare aus dem Gesicht und sagt: »Zwei Kartoffeln – einem Manne wie ihm? Das hieße ihn verulken.« Keiner gibt ihr jetzt Antwortend ihr Gatte schreitet nicht mehr an ihrer Seite. Wir laufen im Gänsemarsch, ich mit der Kiepe am Schluß, vor mir meine Schwester, vor meiner Schwester der Mann meiner Mutter, und alle drei sind wir schweigsam, auch ein wenig gedrückt. An der Spitze ist meine Mutter, die weiterredet. »Ein Kilo ist das mindeste, was man einem Manne wie ihm anbieten kann … Wir dürfen ihn doch nicht etwa beleidigen! Ein Mann, der mit einer Hand einen Eisenträger nahm und ihn auf den oberen Laufsteg des Gerüstes schleuderte! …« Im Gehen redet sie weiter. »Ein Mann, der … Ein Mann, der …« Und obschon ich am Schlüsse der Reihe marschiere, kann ich von alledem, was meine Mutter über den Großvater schwatzt, den rechten Sinn beinahe verstehen.
    Alles in der Welt, von den Pyramiden bis zum Frejus, ist auf ihn gegründet, aber allem ist er abgewandt, überall vor die Tür gesetzt, – ein Alter, der außerhalb aller Dinge in einem Sessel sitzt. Ebenso ging es mit allen Menschen, die seinesgleichen waren. Ebenso geht es mit uns, die wir noch seinesgleichen sind. Und woher mag das kommen? Meine Mutter redet halt darum vom Großvater: ihrer Freude wegen, ihn in allem zu sehen, was er scharfen konnte, – und wegen seiner eigenen Freude am Schaffen, seinem persönlichen Behagen an der eigenen Stärke, der eigenen Krafanstrengung und am eigenen Können. – Woher sonst könnte es kommen?
    So nehmen wir unser Entgelt hin. In den Pyramiden, die wir errichten, liegt nicht unser Ziel, sie bleiben uns verschlossen; aber bei jedem Block, den wir wälzen, finden wir unser Entgelt in der Gewißheit, daß es uns gelungen ist, ihn zu wälzen. Je größer der Block, den wir wälzen, desto größer unser Entgelt. Kommt mit, wenn wir ihn wälzen. Wir sind ganz von der einen Aufgabe erfüllt, ihn richtig zu wälzen; in ihr liegt unser Ziel, in ihr unser Sinn. Hört ihr nicht, was meine Mutter sagt? »Ein Mann, der … Ein Mann, der …« Das ist’s, was sie sagt.

    7

    Was aber ist das Entgelt der »blonden Schwächlinge«?
    Im Menschengeschlecht gibt es auch solche – wie den Mann, den meine Mutter sich genommen hat und den sie selbst »blondes Mannsbild« nennt, um ihm einen Namen zu geben, der das Gegenteil von »Elefant« bezeichnen soll, wie sie meinen Großvater nennt. Sie
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