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Im Schatten des Elefanten

Im Schatten des Elefanten

Titel: Im Schatten des Elefanten
Autoren: Elio Vittorini
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werde ich sagen.
    Und meine Mutter: »Vielleicht weil ich’s ein wenig gepreßt habe.«
    »Du mußt es gehörig gepreßt haben«, sage ich zu ihr.
    Und meine Mutter: »Ob wenig oder mehr …« »Oh!« sage ich zu ihr. »Wie mit der Presse! Wie ein Ballen Heu!« Dann frage ich sie: »Gedenkst du, das alles noch heute zu kochen?«
    »Natürlich«, sagt meine Mutter. »Was für morgen ist, hole ich morgen.«
    Und ich rufe aus: »Das langt dir für einen Futtertrog. Das langt dir für einen Waschkessel …« »Noch nicht«, antwortet meine Mutter. »Ein Armvoll fehlt noch.« Und sie bückt sich; sie pflückt. »Du übertreibst«, bemerke ich. »Wir essen davon nichts. Die Kinder essen davon nichts. Das Zeug ist für den Großvater zuviel.« »Zuviel?« wird meine Mutter brüllen.
    »Er wird davon Magenerweiterung kriegen«, bemerke ich.
    »Zuviel – für einen Mann, wie dein Großvater einer ist?« »Es kann ihm nicht gut bekommen.«
    »Zuviel – bei dem bißchen Brot, das ihm zusteht?« »Er wird davon Krämpfe kriegen. Es kann ihm nicht gut bekommen.«
    Meine Mutter ist stehengeblieben in einer Haltung, als wolle sie wieder alle herausfordern. »Du hast ja nie Augen für ihn gehabt!« schreit sie. »Ein Mann – wie ein Elefant!« Es liegt fast Verachtung in ihrem Blick. Für wen? Für uns, die wir zwar ihre Söhne und doch nicht so sind, wie der Großvater war? »Ach!« sagt sie zu mir. »Nie hätte ich geglaubt, als alte Frau nicht mehr das zu sehen, was ich als Kind sah …« »Nämlich?« frage ich.
    »Nämlich?« schreit meine Mutter. »Nämlich! Nämlich!« Und sie sagt zu mir: »Einen Mann nämlich, der jung ist wie ein junger Elefant und der mit nacktem Oberkörper Elefantendinge vollbringt … Der einen Baum aus dem Erdboden reißt, nämlich …« »Das«, unterbreche ich sie, »das hat nie ein Elefant fertiggebracht.«
    »Doch«, fährt meine Mutter fort. »Mit dem Rüssel. Und er – mit den Händen. Das heißt: mit der Kraf der Arme. Oder, wie er die Wand eines Hauses abbricht«, fährt sie fort, »mit den Schultern rammt er sie ein …«
    Ich unterbreche sie wieder: »Das ist doch Unsinn. Die Trümmer fallen ja auf ihn.«
    »Was konnten sie ihm schon tun?« sagt meine Mutter. »Er schüttelte sich und war wieder sauber. Er hatte eine so glatte Haut«, fährt sie fort. »Auch beim Durchstich des Frejus ist er gewesen und war der beliebteste unter Tausenden von Arbeitern, ja, selbst bei den Ingenieuren. Sie rissen sich um ihn«, fährt sie fort. »Und beim Durchstich des Simplon auch.«
    Jetzt ist sie wie losgelassen, und sie wird weiterreden: täglich müssen wir aufs neue erfahren, was unser Großvater in seinem Leben gemacht hat, Durchbrüche und Bauten, Brücken und Bahnen, Aquädukte, Dämme, Krafwerke, Straßen. Und den Dom? Auch den Dom. Und das Kolosseum?
    Auch das Kolosseum. Und die Chinesische Mauer?
    Auch die Chinesische Mauer. Und die Pyramiden?
    Auch die Pyramiden.
    Meine Mutter würde eine Frage, ob der Großvater auch dort gearbeitet habe, in keinem Falle verneinen. Er ist wie ein Elefant, sagt sie. Alles ist seinem Schweiß zu verdanken, und allem ist er enthoben um seiner Sanfheit, um seines gebeugten Hauptes willen. Er, sagt sie. Welcher Er?
    Vielleicht will sie mehr sagen, als wir ihr unterstellen. Sie ist durchaus nicht etwa dumm. Freilich zeigt sie uns keinen anderen als den Großvater, wie er dasitzt in seiner Fülle; wenn sie uns aber die ganze Art von ihm und unsere zeigen wollte, sie würde uns nur wieder ihn zeigen können. So erwähnt sie auch nur ihn mit Namen, »Dein Großvater«, »Euer Großvater«. Nichts hindert sie aber, den Namen »Großvater« überhaupt für alles zu gebrauchen, was so ist wie er.
    »Der Großvater« – sind das für uns nicht auch die anderen, die mit ihm am Simplon und Frejus waren? Und was gilt uns ein jeder, der beim Bau des Domes war, wie der Großvater am Frejus? Was gilt uns ein jeder, der – wie der Großvater am Frejus – am Kolosseum war? Was, ebenso, ein jeder, der bei der Chinesischen Mauer war? Was, ein jeder, der bei den Pyramiden war? Nun? Was?

    5

    Eine Überraschung kann zuweilen auch bei uns daheim vorkommen.
    Es geschah auf unserem Rückweg (vornweg meine Mutter in ihrem Militärmantel von den Alliierten, ich hinterdrein mit der Kiepe): freudig erregt ruf eine Stimme nach uns, und jemand vom Haus eilt uns entgegen. Deshalb ist’s uns beim Zurückkehren jedesmal, als müßten wir im nächsten Moment den Ruf, die jubelnde Stimme
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