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Im Schatten des Elefanten

Im Schatten des Elefanten

Titel: Im Schatten des Elefanten
Autoren: Elio Vittorini
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werden! Möchten sie von uns allen mit Salz verspeist werden! Möchten sie in unseren Händen dampfen! Möchten wir sie mit dem Geschmack des Angebrannten zwischen den Zähnen haben! Nicht denken, Mama. Möchtest du nicht denken!
    Und in der Tat versucht es sogar meine Mutter,
    nicht zu denken. »Ich wette«, sagt sie zu ihrem Gatten, »du hättest lauter Wein nehmen können für dich.« »Freilich hätte ich’s gekonnt«, antwortet der Mann meiner Mutter.
    »Und hast aber gesagt, du wolltest lieber Kartoffeln! Hast du nicht gesagt, du wolltest lieber Kartoffeln?«
    »Eben das habe ich gesagt. Kartoffeln! Gerade Kartoffeln!« Der Mann meiner Mutter bekommt wieder Mut; er lacht wieder. »Na!« sagt er wieder. Wiederum erhebt er seinen Arm und faßt meine Mutter um die Taille. »Na, meine Witwe!« sagt er zu ihr. Will auch ihr Marschtempo halten. Wechselt den Schritt. »Na!« sagt er zu ihr, und wie ein Rekrut wechselt er ständig den Schritt, um das Marschtempo meiner Mutter zu halten.
    »Ja, hat sie der Großvater nicht gesehen?« fragt meine Mutter.
    Plötzlich ist unser Haus vor uns aufgetaucht: wie das eines Jagdaufsehers, in der Tiefe einer grünen Ebene, wo der Park sich aufut und endet; aber auch wie das eines Fabrikwärters, zwischen den langen Hallen eines verwaisten Lagerplatzes, mit ihren zerbrochenen Fenstern. Wir gewahren den sperrweit geöffneten Kücheneingang, den dunklen, mit dem Wellblechdach darüber. Da sitzt unser Großvater, die Beine übereinander und den Stock zwischen den Beinen, uns zugekehrt in dem Dunkel. Ebendasselbe Dunkel ist er, und meine Mutter hat ihre Frage gerade in dem Augenblick getan, als das Haus vor uns aufgetaucht ist.
    Meine Schwester antwortet mit erstickter Stimme: »Ich glaube nicht. Ich weiß nicht!«
    »Denn, wenn er sie gesehen hat«, sagt meine Mutter, »wenn er sie gesehen hat, ist’s aus …« »Ist’s aus?«
    »Ach ja, Kind! Er ist halt ein Mann, der uns zur
Last fällt.«
»Aus – mit den Kartoffeln?«
    »Er ist halt ein Mann, der die anderen nicht leben läßt – durch das, was er braucht.«
    Meine Schwester stöhnt beinahe: »Oh, Mama!« »Zehn Jahre schon könnte er tot sein«, fährt meine Mutter fort.
    »Aber nein. Da muß er nun wie ein Elefant leben«, sagt sie.

    6

    So hebt sie of an, über ihn zu klagen, den meine Mutter Elefant von einem Großvater nennt. Nicht nur, daß sie anhebt, ihn zu verherrlichen; sie hebt auch an, ihn zu verdammen. Meint, daß er lästig ist, – meint, daß er gar nimmer stirbt, – meint, daß sie seiner überdrüssig ist. Sie verdammt ihn jedoch aus den gleichen Gründen, die ihr zu seiner Verherrlichung dienen. Weil er so groß ist, weil er so viel essen muß, und weil er so heiter, so unverletzlich, so widerstandskräfig ist.
    Auf den Zügen meiner Mutter zeigt sich manchmal ein Widerwille, wenn sie einen Augenblick verweilt, ihn von hinten zu betrachten, und seinen krafstrotzenden Nacken mustert. Oder es zeigt sich düstere Wut auf ihren Zügen, wenn sie vor ihm steht, gebückt, um an seinen Füßen die riesigen Glanzflächen der Schuhe zu bürsten, bronzene gleichsam, wie die eines Standbildes, das, weil ja von Bronze, nicht imstande wäre, sich wenigstens zugänglicher zu verhalten und bei ihrer Dienstleistung die Beine zu bewegen. Was aber sagt sie auch da, um ihren Widerwillen oder um ihre Wut zu äußern? »Elefant« ist alles, was sie sagt. »Ein Mann – wie ein Elefant.« Auch selbst um ihre Geringschätzung zu äußern. »Versteh nur«, sagt sie jetzt zu meiner Schwester, »wir können sie ihm doch gar nicht vorenthalten, wenn er sie gesehen hat.«
    »Aber es ist nicht anzunehmen, daß er sie gesehen hat«, sagt meine Schwester. »Er hat immer die Augen zu.«
    »Oder wenn er euch davon hat reden hören …« »Er hört ja nicht einmal, was zu ihm gesagt wird. Nie gibt er Antwort.«
    »Seit Ostern hat er keine gegessen, und wenn er euch davon hat reden hören, müssen wir sie ihm geben. Er ißt sie schrecklich gern.«
    »Na!« sagt der Mann meiner Mutter. »Wir könnten
ihm auch ein paar davon geben.«
»Ein paar?« sagt meine Mutter.
    »Ich glaube, es gibt für jeden ein paar«, sagt der Mann meiner Mutter.
    »Könnten wir ihm nicht ein paar davon geben?« »Ein paar – einem Manne wie ihm?« sagt meine Mutter.
    »Das gleiche, was einem Manne wie mir«, sagt der Mann meiner Mutter, »und das gleiche, was einer Frau wie meiner Witwe …«
    »Das gleiche, was – einem Dreck«, ruf meine Mutter aus. Sie
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