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Im Schatten des Elefanten

Im Schatten des Elefanten

Titel: Im Schatten des Elefanten
Autoren: Elio Vittorini
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einig!
    Und warum setzt es uns in gelindes Erstaunen? Warum erscheint es uns jedesmal als etwas Neues? Wir bedenken nur meiner Mutter eigene Worte: was sie uns vom Großvater erzählt, wie er war. Und kein Zweifel besteht, daß sie uns viel von dem verraten, wie sie ist. Doch sie hat ihren »Blondkopf« geheiratet.
    Warum hat sie ihn geheiratet? Warum hat sie gerade einen Mann wie ihn in ihr großes Bett aufgenommen?
    Und es ist nicht das erstemal. Ihre erste Hochzeit hat sie ebenfalls mit einem »Blondkopf« gehalten. Auch mein Vater war so ein Mann: ziemlich klein, von zartem Aussehen, und eine Spur davon haben wir, besonders meine Schwester, aufzuweisen. Diesmal jedoch sehen wir, sie sind einig, ohne daß das Haus von Gehämmer widerhallte. Ein bekümmerter Gatte ist er, der ihr den ganzen Tag vor den Füßen herumläuf. Und sie ist eine Gattin, die ihn still umhegt, sich gleichsam darum müht, auch selber bekümmert zu sein. Nicht zu Unrecht kommt uns deshalb die Sache jetzt neu vor.
    Doch wirklich neu ist etwas anderes, das beim Großvater vor sich geht.
    Er sitzt vor der nach dem Wäldchen sperrweit geöffneten Tür, den ganzen Tag ist er derselbe wie früher, doch es vergeht kein Tag mehr, ohne daß er – entweder morgens oder nachmittags – zu sprechen beginnt. Es sind zwei Jahre her, seit er kein Wort mehr sagte. Wir hatten vergessen, wie seine Greisenstimme spricht. Und jetzt diese Neuigkeit hier.
    In der Küche vernimmt man ein dumpfes Grollen – wie Steine, die hinunterpoltern in eine Schlucht, – und es ist unser Großvater, der – wie Steine in einer tiefen Schlucht – mit rauher Stimme spricht. Wovon? Was will er?
    Wir wissen es durch unsere Mutter, die vor ihn hingelaufen ist, um zu hören und ihm zu antworten. »Was er gesagt hat?« hat meine Mutter geschrien. »Wer gesagt hat?«
    Dann hat sie wiederholt: »Ach! Was der kleine Mann da gesagt hat, der mit der Flöte!«
    Sie wiederholt es, und sie schreit: »Was hat er denn gesagt, wovon?«
    Sie schreit, indem sie wiederholt: »Ach!, von den Elefanten!«
    Sie hat ihm einiges zugeschrien, was der kleine Mann uns über die Elefanten gesagt hat. Der Großvater hat jedoch den Stock auf den Fußboden gestoßen. Es ist nicht das, worauf es ihm ankommt. Der Mann hat noch anderes gesagt. Meine Mutter hat ihm einiges andere zugeschrien, was der kleine Mann gesagt hat; und der Großvater hat wieder seinen Stock in Bewegung gesetzt, hat ihn auf den Fußboden gestoßen.
    Das nicht, das nicht. Er spricht mit hefigerem Grollen – wie Steine, die auf einen beinahe unvermittelten Ruck über Steilhänge hinunterpoltern in die tiefe Schlucht.
    »Ach!« hat meine Mutter geschrien. »Was er von ihrem Tode gesagt hat?«
    Der Mann meiner Mutter ist hinter sie getreten. »Freilich, was er davon gesagt hat.«
    Er steht neben meinem Großvater auf der anderen Seite, und der Großvater hat das Gesicht von ihm abgewendet. Der Großvater will von seiner Gegenwart nichts wissen; will nie etwas davon wissen, wenn er spricht; nie wissen, daß er da ist. Er hat sich mehr nach hier herumgedreht, meiner Mutter zu, – hört aber nicht, daß meine Mutter den Gatten anschreit – wie stets, wenn sie nicht mit ihm einig ist: »Mach du dich weg!« Sie haben aber wortlos einen langen Blick getauscht, meine Mutter und der Gatte. »Er will, daß du es ihm wiederholst«, hat der Gatte zu meiner Mutter gesagt.
    Und ob der Großvater gleich zu fast drei Vierteln sich wegwendet von ihm, – hat er nicht mehr den Stock in Bewegung gesetzt.
    Das ist es, was er will. »Wiederhole es ihm«, hat der Gatte zu meiner Mutter gesagt.

    28

    Als nun am Samstagabend mein Bruder Euklid seinen Wochenlohn bringt, wird um die Schürze meiner Mutter herum eingehender von den Dingen gesprochen, die wir kaufen könnten, wenn man nicht so viel Brot kaufen müßte.
    Gewöhnlich sind es die Mädchen, die anfangen, – gerade sie, die nicht aufören, – sie, die alles sagen; aber meine Mutter tut ihnen jetzt nicht Einhalt wie früher, hört sie an und läßt sie alles sagen. So wird davon gesprochen, wie man besser leben würde, wenn der Großvater nicht wäre. Bei Gott!, anderthalb Kilo Brot am Tag! Man hätte jeden Tag anderthalb Kilo Brot weniger zu kaufen! Bei Gott!, das hieße, kein Brot mehr holen auf dem schwarzen Markt! Man könnte jeden Tag 90 Lire für anderes verwenden! Bedenkt ihr das, Leute?
    Das hieße, hin und wieder sonntags Fleisch haben! Oder, an einem Freitag getrockneten Kabeljau haben!
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