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Im Schatten des Elefanten

Im Schatten des Elefanten

Titel: Im Schatten des Elefanten
Autoren: Elio Vittorini
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stört, hebt er das Gesicht vom Tisch hoch und scheint, mit fahrigen Handbewegungen Spinnweben von sich abzustreifen. Stöhnt aus dem Weinschlaf: »Bruderherz, nein.«
    Aber seine Hände halten, das Gesicht begrabend, inne, und wieder ist er dem entrückt, was sein Gefährte in unsrer Mitte erlebt; er sagt weiter nichts. Sein Gefährte Rußgesicht hat, wenn auch taumelnd, einige Schritte getan.
    Er ist auf dem Wege zu unserer Küchentür, die, nach dem Wäldchen führend, jetzt geschlossen ist. Stößt auf den Stuhl, wo Großvater, wenn er nicht zu Tisch sitzt, den ganzen Tag über weilt, – und da läßt er sich nieder, leicht vorgebeugt, die Hände gegen seinen Leib pressend.
    »Was mir fehlt, ist sprechen zu können«, sagt er, »wie man die Säufer im Film sprechen läßt«, sagt er zähneklappernd. »Aber ich möchte nicht, daß ihr mich zurückhaltet. Ich habe mich bei euch schon bedankt, ich habe mich bei euch schon verabschiedet, und ich muß wirklich fortgehen.«
    Beim Reden hat er sein Gesicht uns zugewendet, doch schaut er zu meiner Mutter auf, die ihm gefolgt ist. »Wahrhafig!« setzt er hinzu und klappert mit den Zähnen.
    Vom Tische her versucht mit schwachem Stöhnen sein Weinkumpan abermals, ihn zu rufen. Aber er kann sich von dem Spinnwebenschleier, seinem Weinschlaf nämlich, nicht losreißen. Stöhnt nicht einmal »nein«. Stöhnt »nnn!«. Und er als einziger von unserer Familie, – er mochte ihn zurückhalten. Meine Mutter, die ihm folgt, hat die Bügeldecke auf dem Arm, als hätte sie im Sinne, ihn damit zuzudecken. Es ist ein Gedanke, – ihn ein bißchen ausruhen zu lassen im Bett. Aber dabei bleibt es, – und sie sagt nichts zu ihm von Dableiben, auch sonst niemand von uns – außer jenem, der Gefährte ihm war bei anderthalb Strohflaschen. Welche Befürchtung hegen wir? Ihn, den Unbekannten, betrunken im Haus zu haben, – und – daß er sich bei uns daheim erbricht? Oder auch stirbt in unserem Haus? »Ich habe ja nicht nur Tb«, sagt Rußgesicht – mit seiner auch jetzt noch lachenden Miene, – als er gerade zu meiner Mutter aufschaut. »Werden die Menschen denn nur von Tb getroffen? Es gibt so viele Krankheiten. Und ich habe vielleicht noch andere. Vielleicht habe ich Krebs.«
    Er spricht sehr leise davon, scheinbar nur mit meiner Mutter, als wollte er ihr eine Sache anvertrauen, die sie dazu bestimmen soll, ihn gehen zu lassen – selbst hinter dem Rücken der anderen. Aber wir alle befürchten nur, daß er nicht schnell genug macht. Möchten seine Speierei oder anderes nicht auf unserem Küchenboden sehen, auch nicht zwischen Großvaters Stuhl und dem Wäldchen. Wortlos geht denn meine Mutter, ihm die Tür zu öffnen. »Schön!« sagt sie zu ihm.
    Und Rußgesicht steht auf, geht aufrecht bis zur Schwelle, – überschreitet sie.
    Draußen dreht er sich um und winkt uns allen einen Gruß zu – wie damals, als er immer auf dem Schlepper der Straßenwalze vorbeikam. Ob er uns auch zuzwinkert?
    Meine Mutter geht und guckt ihm nach. »Schön!« wiederholt sie. Und schreit hinter ihm her: »Besucht uns gelegentlich wieder.«

    27

    Ein Tag vergeht, ein neuer kommt, der Mann meiner Mutter ist traurig geworden vom Rausch, und der Großvater sitzt, wie immer, auf seinem Stuhl gegenüber dem Wäldchen, mit seinem alten Stock zwischen den Beinen.
    Es gibt aber etwas Neues zwischen meiner Mutter und dem Mann meiner Mutter, sie sind viel zusammen, er begleitet sie, wenn meine Mutter Zichorien holt, sie zanken sich kaum noch und sie tauschen lange Blicke. Das kommt von der Traurigkeit, die ihn nach dem Rausch ergriffen hat. Aber ist es wirklich etwas Neues?
    Wir haben sie auch sonst schon in ebensolcher Eintracht zusammen gesehen: sie – majestätisch um ihn herum, wie eine Mutter, deren Güte und Zärtlichkeit von allen nur er sich zu gewinnen vermag, – und er, der – klein, von zartem Aussehen – stets in ihre Hausfrauenarbeit sich einmischt.
    Das sind dann Perioden, da will er alles ausbessern, was in unsrer Behausung kaputt ist; und mit Geschick schaf er es auch ohne ein einziges Werkzeug, – setzt er Hähne, Waschbecken, Schalter und anderes völlig instand oder verhilf uns wieder zum elektrischen Strom, den der Mann vom Elektrizitätswerk uns entzogen hat. Ja, wir erhalten sogar durch dieses sein Herumwerkeln im Hause den ersten Beweis dafür, daß er und meine Mutter einig sind: durch Hammerschläge, durch den Lärm dröhnenden Eisens.
    Bei Gott! so heißt es. Sie sind
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