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Im Schatten des Elefanten

Im Schatten des Elefanten

Titel: Im Schatten des Elefanten
Autoren: Elio Vittorini
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ist nirgendwo Jäger gewesen.
    Was er eigentlich gewesen ist? Ob Elfenbeinhändler? Nein, sagt der Gast. Ist nie Elfenbeinhändler gewesen.
    »Wie«, fragt meine Mutter, »habt Ihr da all diese Dinge über die Elefanten erfahren?«
    Der Gast fängt wieder an zu erzählen. »Seht Ihr«, sagt er.
    Und er ist froh, noch einen Moment lang die Rolle zu spielen, die er so gern einmal im Leben spielen wollte, – vor Zuhörern von sich zu erzählen, ihnen eine Ansprache zu halten über lauter eigene Erlebnisse.
    »In meiner Heimat«, erzählt er uns, »gibt es einen großen Felsen, den man im Hintergrund der kahlen Landschaf vom Fenster aus sehen kann. Aus der Hügelkette ragt er als höchste Erhebung, und vom Fenster aus, kilometerweit weg, kann man seine Gestalt deutlich erkennen, – die ungeschlachten Ohren, gleichsam, und den Rüssel, – so wie, angeblich, bei den Elefanten. Deshalb heißt er eben ›Der Elefant‹, – zumal er von weitem so groß erscheint, wie man die Elefanten sich vorstellt, und so viel mehr noch von nahem: ein Koloß von einem Felsen und Elefanten.
    Zuerst sah ich ihn nur – und mußte dabei an diese Tiere und ihre Eigenschafen denken – allein auf Grund dessen, was ich vom Hause meiner Mutter, von dessen Galerie aus, von unserem Felsen sehen konnte. Dann bin ich losgezogen durch das Gelände und bis an die Hügel herangegangen, wo er aufragt, bis dicht darunter, wo er ist, und ihm zu Füßen habe ich an diese Tiere gedacht. Aber ich kletterte auch, so hoch es ging, seiner Flanke entlang und klopfe ihm mit der Hand auf den Schenkel oder streichelte ihn, als wäre ich sein Wärter, und er hatte wahrhafig, was diese Tiere besitzen, – die große Kraf und die Sanfmut, die Demut, die Geduld, den Mut und die Heiterkeit, ja die Heiterkeit, – Eigenschafen, die bei diesen Tieren so edel sind. Viele Jahre lang habe ich es so gehalten, – bis zu dem Tage, an welchem ich meine Heimat verließ und nun darf ich behaupten, sie gründlich zu kennen.« »Die Elefanten?« fragt meine Mutter.
    »Die Eigenschafen, die man ihnen zumißt, und deshalb auch sie. Ich dachte ständig darüber nach und prägte mir ein, wie sie sind, – lernte sie kennen. Ja, Signora, so habe ich auch von ihren Gewohnheiten erfahren und von ihrem Tode.«
    »Aber dann werdet Ihr sie in Afrika gesehen haben«, fragt meine Mutter.
    »Nie in Afrika gewesen, Signora«, antwortete ihr der Gast.
    »Und habt Ihr nie welche hinter Gittern gesehen – in einem Zirkus, in einem zoologischen Garten?« fragt meine Mutter.
    »Nie an solchen Plätzen gewesen«, antwortet ihr der Gast.
    »Bei Gott! «ruf meine Mutter aus. »Ahnt Ihr eigentlich, was für eine Dreistigkeit Ihr besitzt?« ruf sie aus. »Ich kann gar nicht sagen, wie dreist Ihr seid!«

    6

    Obschon der kleine Mann noch lacht, hat er angefangen, mit den Zähnen zu klappern.
    Er wollte sich noch Wein einschenken und hat entdeckt, daß die Korbflasche leer ist, und hat seine Hände vom Tisch genommen, hat sie in seine Taschen gesteckt. So sitzt er zusammengekauert, zwischen seine schmalen Schultern verkrochen, – trotzdem lacht er noch und schaut dabei manchmal den Großvater an, auch manchmal den Weinkumpan von heute, manchmal meine Mutter, – und zwar lächelt er dabei und klappert mit den Zähnen. »Sicher habe ich zuviel gesprochen«, sagt er. »Und wißt ihr. In meiner Heimat sagen sie, wenn einer zu viel spricht, der es sonst nicht tut, – so bedeute es, daß er bald am Sterben ist …«
    Meine Mutter unterbricht ihn. »Ihr werdet mir nicht beibringen wollen, daß Ihr es sonst nicht tut!« Der kleine Mann mit dem Rußgesicht zieht den Kopf noch mehr ein. »Zuviel sprechen?« sagt er zähneklappernd. »Wie Ihr wollt. Aber ich hoffe gleichwohl, Ihr werdet gewillt sein, mich zu entschuldigen, und schließlich denken, Ihr hättet es mir selber erlaubt. Der Herr hier, natürlich, auch!«
    Sein Zähneklappern erwähnt er nicht, steht auf, torkelt aber, setzt sich wieder hin und steht wieder auf. »Vielleicht haben die Leute, die essen, recht«, sagt er, »wenn sie möchten, daß einer, der nichts ißt, auch nichts trinkt, und wenn sie uns Säufer heißen. Mit Auslassungen wie den meinen sind sie gewöhnlich schnell fertig und waschen ihre Hände in Unschuld. Säufergeschwätz, – so sagen sie. Sagen sie das nicht?« sagt er zähneklappernd. »Sagt Ihr es auch und – wascht Eure Hände in Unschuld.« »Nein«, stöhnt sein Weinkumpan.
    Wie aus einem Nebelschleier, der ihn
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