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Im Schatten des Elefanten

Im Schatten des Elefanten

Titel: Im Schatten des Elefanten
Autoren: Elio Vittorini
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längs aller Flüsse, längs aller Meere, längs aller Seen – bis nach Afrika hin. Es ist ein Röhricht und wird zur Orgel: fein in jedem Ton, ja sogar schrill, weinerlich, im ganzen Klang jedoch von solcher Innerlichkeit. Nur hört er halt hier mit einem Male auf. Ob es das Motiv war und ob es zu Ende ist? Der Mann ist in Schweiß, blickt schielend drein. Kommt schwankend zum Tisch, sucht dort sein Glas. Sein Weinkumpan, der reicht es ihm. »Und das wäre Euer ganzes Motiv?« sagt meine Mutter zu ihm. »Es ist doch gar nicht übel«, sagen wir.
    »Ein Motiv wie andere auch«, sagt meine Mutter. Der Mann hat getrunken, sich den Mund abgewischt, und sein Gesicht, auch sein schielender Blick, zeigt wieder ein wenig Lächeln. »Ich habe es nur für den Herrn hier gespielt«, sagt er zu uns. »Er nur hat es so hören können, wie es in Wirklichkeit ist.« »Wie hat es denn auf ihn gewirkt?« fragt meine Mutter. Sie beobachtet Großvater. »Ich sehe nicht, daß es irgendwie auf ihn gewirkt hätte.«
    »Ach, – nicht?« sagt der Mann. »Habt Ihr nicht gesehen – ?«
    Auch er beobachtet Großvater, überlegt und fängt wieder an, in seine Flöte hineinzublasen, wobei er so stehenbleibt, wie er ist, und Großvater weiter im Auge behält. Diesmal erhebt sich das rote Fähnchen sogleich; der Mann spielt, schwankt dabei etwas, – kann sein, er taumelt etwas, – bleibt nie ruhig auf seinen Füßen; und so gut wie gleich ist auch das Motiv da. Denn gleich ist das Rohr jung wie einst in seinem Röhricht, und gleich ist das Röhricht gar die Welt: gleich ist es Orgel.
    Wir beobachten alle den Großvater. Was ist bei ihm zu sehen? Er hat das Haupt geneigt, – wie wenn er vor der Tür sitzt, die nach dem Wäldchen hin sperrweit aufsteht, und seine Hände liegen, ohne daß die Finger gestreckt oder gekrümmt sind, breit auf dem Tisch. Nichts ist bei ihm zu sehen. Ich möchte eher meinen, er schläf.
    Doch der Mann windet seinen Hals beim Spielen, windet die Schulter nach unten, schwitzt auf der Stirn, und sein Atem windet sich in der Flöte und windet zugleich mit Geflatter das rote Fähnchen empor. Er ist tatsächlich nicht fest auf den Füßen. Taumelt nach vorn, als müsse er auf den Tisch sacken, schwankt vor und zurück, krümmt die Knie, dann reißt er sich hoch mit einem Ruck und reißt den Flötenton stoßartig mit in die Höhe.
    Jetzt scheint er uns gleichsam Zeichen zu geben. Mit
dem Haupte sogar – und mit der Flöte, mit den
Ellbogen …
Gibt er uns Zeichen?
    Will, daß wir Großvater betrachten. Ja, wir betrachten ihn doch. Müh dich nicht ab, kleiner Mann. Wir betrachten ihn doch, wir betrachten ihn doch … Was geht denn vor? Mit seinen Fingern da klopf der Großvater auf den Tisch. Bei Gott! er klopf damit im Takt! Seit wann denn? Wir haben ihn doch betrachtet. Mit seinen Fingern, die wir versteinert wähnten, klopf der Großvater trommelnd auf den Tisch und markiert mit Gehämmer den Takt der Flöte.

    23

    »Ach!« sagt meine Mutter.
    Das Motiv verklingt, und der kleine Mann sitzt da wie gelähmt.
    »Und das ist alles?« sagt meine Mutter.
    Aber der kleine Mann weiß nicht, daß sie es sagt, er sucht sein Glas mit verdrehten Augen, mit unbeholfenen Händen, wieder ist es sein Weinkumpan, der es ihm in die Faust gibt, und in knappen Zügen trinkt er, – schweißbedeckt, keuchend. »Mama!« sagen wir zu unserer Mutter.
    »Wenn das alles ist, ist’s doch nicht viel«, sagt meine Mutter zu uns.
    Der kleine Mann nimmt noch einen Schluck, hat jetzt beim Trinken die Augen geschlossen, stellt aber das Glas behutsam hin und öffnet sie wieder. Er lächelt, als er sie wieder öffnet. »Wißt Ihr«, erzählt er uns.
    »Ich kränkele seit einigen Jahren. Etwas – schon immer, und seit ein paar Jahren – etwas mehr. Es soll Tb sein. Müßte eigentlich ins Krankenhaus, vielleicht gehe ich auch hin, vielleicht nicht. Jedenfalls habe ich mit euch mein Fest gefeiert, – habe das, was ich sagen wollte, gesagt, – habe dem Herrn hier mein Motiv vorgespielt, – und für alles spreche ich Euch meinen aufrichtigen Dank aus. Danke, ihr Kinder, – danke, meine Herren und Damen, – danke, Signora …«
    »Nichts zu danken«, sagt meine Mutter. »Warum wollt Ihr denn schon fortgehen?«
    Zugleich mit ihr, doch gegen sie, erheben wir alle ein Murren.
    »Warum behandelst du ihn schlecht?«
    Und über den Tisch weg faßt ihr Gatte seinen Weinkumpan beim Arm.
    »Nein«, sagt er zu ihm.
    Meine Mutter mustert uns, die wir am
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