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Im Schatten der Vergeltung

Im Schatten der Vergeltung

Titel: Im Schatten der Vergeltung
Autoren: Rebecca Michéle
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einzige, die letzte Lösung. Sieh, ich habe es gut durchdacht. Man kennt Fälle, wenn sich die Leute in den Kopf schießen, das aber überleben. Sie fristen ihr klägliches Dasein als armselige Krüppel. Nun, wenn mich die Kugel nicht gleich töten sollte, werde ich auf jeden Fall ins Wasser fallen und ertrinken. Wenigstens bei diesem Schritt werde ich keinen Fehler machen, und niemand, auch nicht du, kann mich aufhalten.«
    Linnley hob die Pistole und setzte den Lauf an seine Schläfe. Mit einem Schrei warf Maureen sich auf ihn, und sie stürzten ins Meer. Maureen hörte den peitschenden Schuss, und das salzige, kalte Wasser drang in ihren Mund. Nach Luft schnappend suchten ihre Beine festen Grund, dann richtete sie sich auf. Linnley trieb mit dem Gesicht nach unten neben ihr, das Wasser um sie herum färbte sich rot. Sie packte Linnley an den Schultern und zog ihn auf den sicheren Strand. Dort drehte sie ihn herum und starrte in seine überraschten, aber lebendigen Augen. Hastig untersuchte sie seinen Körper, konnte aber keine Verletzung finden. Erst als sie sich keuchend neben ihm in den Sand fallen ließ, bemerkte sie den scharfen, brennenden Schmerz an ihrer rechten Wade. Ihr Hosenbein war zerfetzt, und Blut lief über ihr Bein. Vorsichtig schob sie den Stoff beiseite. Zur ihrer Erleichterung erkannte sie, dass die Kugel ihre Wade nur gestreift und keine lebensbedrohliche Verletzung hinterlassen hatte. Aus ihrem Hemd riss sie einen Streifen Stoff, mit dem sie die Wunde notdürftig verband.
    »David Linnley«, schimpfte sie mit einem Anflug von Ironie. »Es ist wirklich nicht die Art eines Gentlemans, eine Dame zu zwingen, sich erst ins Meer zu stürzen und sie dann anzuschießen. Und jetzt hilf mir gefälligst auf mein Pferd, damit wir nach Trenance Cove kommen. Ich brauche einen Arzt.«
    Linnley, dem offensichtlich kein Leid geschehen war, starrte betroffen auf Maureens Bein.
    »Sogar um mich umzubringen, bin ich zu schwach«, murmelte er und leistete keinen Widerstand, als Maureen sich an ihm in die Höhe zog. Er legte sich seinen Rock, den er vorher achtlos in den Sand geworfen hatte, um die Schultern. Zu Maureens Erleichterung machte Linnley keinen erneuten Versuch, sich zu töten; außerdem war die Pistole in den Wellen verschwunden. Wie in Trance kletterte er hinter Maureen die Felsen hoch. Als sie die Pferde erreichten, begannen vor Maureens Augen bunte Kreise zu drehen. Sie durfte jetzt nicht bewusstlos werden, sondern musste durchhalten, bis Linnley in Sicherheit war.
    L aute Stimmen und Gepolter drangen in die Bibliothek, in der Frederica gerade mit ihrem Bericht geendet hatte. Bevor Philipp aufspringen und zur Tür eilen konnte, wurde sie aufgerissen, und Jenkins stolperte mit wachsbleichem Gesicht herein.
    »Sir ... da draußen ...«, stammelte er und schüttelte ungläubig den Kopf. »Ich werde langsam alt ... Ich sehe Mylady, dabei ist sie doch tot ...«
    Rücksichtslos drängte sich Philipp, dicht gefolgt von Frederica und Cedric, an dem Butler vorbei. In der Halle standen Maureen und David Linnley, die sich fest umklammert hielten. Es war unmöglich zu sagen, wer hier wen stützte.
    »Hallo Philipp ...«, flüsterte Maureen. »Verzeih, dass ich so einfach hier eindringe, aber ...«
    Mit einem Schritt war er an ihrer Seite. Dankbar sank sie in seine Arme und ließ sich zu einem Stuhl führen. Erst jetzt erkannte Philipp das Blut, das eine Lache auf den schwarz-weißen Marmorfliesen bildete.
    »Jenkins!«, brüllte er. »Lady Maureen ist verletzt, schick sofort nach dem Arzt!«
    Mit einem schwachen Lächeln hob Maureen abwehrend die Hand.
    »Es ist nur eine Fleischwunde und sieht schlimmer aus, als es ist. Bitte, kümmere dich zuerst um Linnley.«
    David Linnley stand unbeweglich, mit versteinertem Gesicht und leerem Blick, mitten in der Halle. Cedric Collingford, der bisher sprachlos auf die Szenerie gestarrt hatte, griff nach einer Karaffe Wein, schenkte ein Glas ein und reichte es Linnley, der stumm danach griff und die goldgelbe Flüssigkeit in einem Zug austrank.
    Schwer lag Philipps Hand auf Maureens Schulter.
    »Er wollte sich erschießen«, flüsterte sie. »Ich wollte ihn daran hindern, dabei löste sich ein Schuss. Es war keine Absicht.« Sie griff nach Philipps Hand und umklammerte sie fest. »Wir müssen uns um ihn kümmern!«
    Verwirrt strich Philipp sich über die Stirn. Es war kein Trugbild, Maureen war hier! Hier, in seinem – in ihrem! – Haus, und alles, was Frederica erzählt
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