Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Schatten der Vergeltung

Im Schatten der Vergeltung

Titel: Im Schatten der Vergeltung
Autoren: Rebecca Michéle
Vom Netzwerk:
Viertelstunde.«
    Der unterschwellige Vorwurf in ihrer tiefen, leicht männlichen Stimme war unüberhörbar, dabei war es Lady Esther gleichgültig, ob sie ungelegen kam. Sie erwartete, dass sich alle Menschen über ihren Besuch jederzeit freuten. Selbst wenn ihr unsensibles Gemüt bemerkt hätte, dass ihr Besuch Maureens Pläne durcheinanderbrachten – Esther Linnley kümmerte sich nicht im Mindesten darum. Hauptsache, sie fand Gelegenheit, den neuesten Tratsch zu verbreiten.
    »Nein, Lady Esther, keineswegs«, versicherte Maureen mit einem zuckersüßen Lächeln. »Wie ich sehe, hat Jenkins bereits eine kleine Stärkung serviert.«
    Auf dem zierlichen Chippendale-Tischchen standen eine Kanne Tee, zwei Tassen und Teller sowie eine Platte mit noch warmem Apfelkuchen und kleinen, belegten Gurkenbrötchen. Maureen schenkte erst ihrem Gast, dann sich selbst ein und bot von dem Kuchen an. Lady Esther griff eifrig zu und legte sich gleich zwei Stücke auf den Teller. Erst dann nahm Maureen Platz. Die innere Anspannung war ihr nicht anzumerken. Scheinbar ruhig wartete sie, bis Lady Esther das Gespräch eröffnete, die Dame nippte aber nur am Tee und kostete dann von dem Kuchen.
    »Da ist zu viel Zimt drin!«, stellte sie schließlich missbilligend fest. »Er überdeckt den Apfelgeschmack, darauf musst du künftig achten, Maureen.«
    Maureen spürte, wie ihr die Hitze in die Wangen stieg.
    »Ich werde es der Köchin ausrichten«, antwortete sie ruhig. Auch nach den vielen Jahren brachte es Lady Esther immer noch fertig, Maureen das Gefühl der Unzulänglichkeit zu vermitteln.
    »Kindchen, du wirst es schon noch lernen. Das A und O einer guten Hausherrin ist, das Personal mit strenger Hand zu führen.«
    Gönnerhaft tätschelte sie Maureens Hand. Der angeblich zu dominante Zimtgeschmack hinderte sie nicht daran, nach einem dritten Stück zu greifen und sich dieses schmecken zu lassen. Während sie genüsslich kaute, röteten sich ihre dicken Wangen. Überhaupt war an Lady Esther alles rund und rosig. Maureen hoffte, die Nachbarin würde endlich den Grund ihres Besuches nennen. Esther Linnley kam niemals einfach so zu einem Plausch vorbei, zumindest nicht nach Trenance Cove, aber Maureens Geduld wurde heute auf eine harte Probe gestellt.
    »Eine große Bitte führt mich heute zu dir«, nahm Lady Esther die Unterhaltung erst wieder auf, nachdem sie noch zwei Sandwiches gegessen und eine weitere Tasse Tee getrunken hatte. Kein Wunder, dass sie so korpulent ist, dachte Maureen und lehnte sich gespannt zurück. »Es geht um unser Gartenfest am kommenden Samstag«, fuhr Lady Esther fort.
    Für die ganze Grafschaft bedeutete das Gartenfest der Linnleys das Ereignis des Jahres. Hier galt es, sehen und gesehen zu werden, und soziale Kontakte zu pflegen oder neue zu schließen. Wer auf Linnley Park eingeladen wurde, war gesellschaftsfähig; wer von Esther Linnley gemieden wurde, dem blieben die Türen aller guten Häuser verschlossen. Von ihr anerkannt und in ihre Gesellschaft aufgenommen zu werden, galt mehr als eine Audienz bei der Gemahlin von König George. Unwillkürlich erinnerte sich Maureen an den Tag, als sie das erste Mal Linnley Park betreten und Lady Esther vorgestellt worden war. Es war eine einzige Katastrophe gewesen.
    Schnell schob sie die unerfreulichen Erinnerungen an die Vergangenheit zur Seite und sagte mit einem unverbindlichen Lächeln: »Auch im Namen meines Gattens und meiner Tochter kann ich Ihnen versichern, dass wir uns sehr auf das Fest freuen, Lady Esther. Die Festivitäten in Ihrem Haus sind stets eine großartige Abwechslung in unserem beschaulichen Alltag, was allein Ihrer hervorragenden Organisation zu verdanken ist.«
    Esther Linnley senkte den Blick und lächelte geziert, als wolle sie den Eindruck erwecken, über das Kompliment peinlich berührt zu sein. Maureen hingegen wusste genau, dass Lady Esther von solch salbungsvollen Worten nicht genug bekommen konnte. Dabei hatte sie es überhaupt nicht nötig, um Komplimente zu bitten, denn die Nachbarin war eine äußerst selbstbewusste Frau und stellte ihre Entscheidungen niemals in Frage. Trotzdem genoss sie es wie ein Bär, der einen Honigtopf ausschleckt, gelobt und in ihren Handlungen bestärkt zu werden. Wollte man von Lady Esther mit Wohlwollen anerkannt werden, tat man gut daran, ihr regelmäßig und ausführlich zu schmeicheln.
    »Zu meiner Freude hat der Bischof von Exeter sein Kommen zugesagt.« Lady Esther legte eine kleine Pause ein und
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher