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Im Schatten der Vergeltung

Im Schatten der Vergeltung

Titel: Im Schatten der Vergeltung
Autoren: Rebecca Michéle
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hatte er von seinem Vater geerbt, und er bedeutete ihm sehr viel, denn mit ihm saß bereits die fünfte Generation der Trenance im Oberhaus. In den ersten Jahren ihrer Ehe hatte Maureen ihren Mann oft nach London begleitet, diese Reisen aber eingestellt, als Frederica heranwuchs. Sie wollte das Mädchen nicht über Wochen in der Obhut einer Nanny lassen, sondern sich selbst um es kümmern. Außerdem hatte sich Maureen in der eitlen und verlogenen Welt des Hochadels, der verächtlich auf alle weniger Privilegierten herabsah, nie wohlgefühlt. In Cornwall blieben ihr regelmäßige Begegnungen mit einer Gesellschaft, zu der sie nie richtig gehören würde, auch nicht erspart, Maureen hatte aber mehr Gelegenheit, sich zurückzuziehen. Sie war glücklich auf Trenance Cove, glücklich mit ihrer Tochter und nach wie vor glücklich mit Philipp, auch wenn die Schmetterlinge im Bauch längst ausgeflogen waren.
    »Du hast mich auch geheiratet«, flüsterte sie und lehnte ihre Stirn an seinen Rücken. »Gegen alle Widerstände hast du mich zur Frau genommen. Es hat dich nicht gekümmert, was deine Familie und Nachbarn zu unserer Verbindung sagen würden.«
    Philipp drehte sich um, hob mit zwei Fingern ihr Kinn und sah sie mit einem traurigen und zugleich sorgenvollen Blick an.
    »Wir waren so jung! Wenn wir damals gewusst hätten, was uns im Leben erwartet, was uns abverlangt wird ...« Wieder ließ er den Satz unvollendet, und erneut wusste Maureen, dass er seine Entscheidung, eine Ehe mit einem Mädchen aus der untersten Gesellschaftsschicht einzugehen, die zudem noch Ausländerin war, schon längere Zeit in Frage stellte. »Es ist unsere elterliche Pflicht, Frederica vor ähnlichen Erfahrungen zu bewahren«, fuhr er bekümmert fort.
    Maureen schluckte und versuchte sich nicht anmerken zu lassen, wie verletzt sie war. Noch heute stand ihr die offene Ablehnung ihres Schwiegervaters vor Augen, der sich für seinen einzigen Sohn und Erben ein vermögendes Mädchen aus gutem Hause gewünscht hatte. Es dauerte Jahre, bis das Personal Maureen als Herrin akzeptierte. Wie oft wurde hinter Maureens Rücken über ihren schottischen Akzent gekichert! Bevor Lady Esther sich ihrer angenommen und sich erbarmt hatte, aus Maureen eine Dame zu machen, wurde die Familie Trenance von allen angesehenen cornischen Familien gemieden. Es gab keine Einladungen, keine Besuche, und niemand gab Maureen die Chance zu beweisen, dass sie zwar einfacher Abstammung, im Herzen und im Charakter trotzdem ein guter Mensch war.
    Maureen schuldete Lady Esther Dankbarkeit, dass die Dame sie unter ihrer Fittiche genommen hatte. Sie hatte sich sehr bemüht und alles getan, um ihren geliebten Philipp nicht zu enttäuschen. Er durfte sich durch die Heirat mit ihr auf keinen Fall seine Zukunft verbauen. Bald schon merkte Maureen, dass es für Lady Esther nur einen einzigen Grund gab, warum sie sich um Maureen kümmerte: In dem unbedarften, einfachen Mädchen hatte sie eine Person gefunden, die sie beherrschen und nach ihrem Belieben formen konnte. Esther Linnley hatte versucht, Maureen zu manipulieren und zu einer folgsamen Anhängerin ihrer Meinung zu machen. Sie duldete auch keinen Widerspruch. Auch wenn Maureen oft anderer Meinung war, wagte sie niemals, diese zu äußern, denn von Lady Esther lernte sie binnen weniger Monate, wie eine Dame zu sprechen und sich zu bewegen hatte, wie man elegant und trotzdem sicher die Teetasse und den Teller mit Kuchen in den Händen balancierte, wie man zwanglose Konversation betrieb und wie man einen so großen Haushalt wie Trenance Cove führte und sich dem Personal gegenüber mit Strenge, aber auch Höflichkeit durchsetzte.
    Ja, sie hatte Esther Linnley wirklich viel zu verdanken, empfand aber auch Bitterkeit. Nach außen war sie zu einer Puppe geworden, die so funktionierte, wie es von ihr erwartet wurde. In ihrem Inneren war sie aber immer noch die Maureen, die als Kind barfuß über die Heide gelaufen und im Stall zwischen den Schafen geschlafen hatte. In der letzten Zeit gab es immer wieder Situationen wie heute, in denen Philipp ihr indirekt zu verstehen gab, dass er ihre überstürzte Heirat bereute. Nein, er würde es ihr niemals ins Gesicht sagen, immerhin war er ein Gentleman, sein Verhalten sprach jedoch für sich. Wo war das Feuer ihrer ersten gemeinsamen Jahre geblieben? Wann hatten sie zuletzt miteinander eine leidenschaftliche Nacht verbracht? Wann hatte er ihr zum letzten Mal gesagt, wie sehr er sie auf seinen
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