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Im Schatten der Giganten: Roman

Im Schatten der Giganten: Roman

Titel: Im Schatten der Giganten: Roman
Autoren: David Tallerman , Andreas Brandhorst
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vorausmarschiert war und mit lauter Stimme die Öffnung des Tors verlangte. Zum Glück waren uns einige Riesinnen gefolgt und hatten auf der anderen Seite der Palisade gewartet. Es folgte eine kurze Diskussion, wobei Salzleck gestenreich in beide Richtungen übersetzte – es ging darum, wo Alvantes’ Wunde am besten behandelt werden konnte. Schließlich zogen Estrada und ich unsere Mäntel aus, und sie wurden zu einer behelfsmäßigen, von vier Riesen getragenen Bahre. Dann machten wir uns zusammen auf den Weg zum Wald.
    Als wir ihn erreichten, winkten die Riesinnen – offenbar wollten sie, dass wir uns trennten. Estrada und ich sollten einen der von Stoffbahnen abgetrennten »Räume« aufsuchen, während alle anderen den Weg mit Alvantes fortsetzten.
    »He!«, rief ich in plötzlicher Sorge. Wussten sie, worauf sie sich einließen? Was, wenn sich die Anatomie der Riesen stark von der unsrigen unterschied?
    Die Riesinnen winkten nur und stapften davon.
    »Gut heilen.« Salzleck sagte es mit solcher Gewissheit, dass ich es nicht bezweifeln konnte. Da ich mir um Alvantes keine Sorgen mehr machen musste, dachte ich an mich selbst. Es fiel mir schwer, Geist und Körper davon zu überzeugen, dass es vorbei war. Meine schmerzenden Beine wollten unbedingt in Bewegung bleiben, als hätten sie vergessen zu ruhen. In meinem Kopf herrschte ein Chaos aus Bildern und Empfindungen. Ich war gleichzeitig zutiefst erschöpft und hellwach, streckte mich im Gras aus und legte die Hände unter den Kopf.
    »Wir haben gewonnen.«
    Die Worte klangen hohl. Moaradrid war tot. Er war auf eine dumme Art gestorben, die einem leidtun konnte. Seine Streitmacht befand sich noch immer in unserem Land. Der Stein der Riesen hatte den Kriegsherrn in die Tiefe begleitet, und die Riesen selbst waren überall im Castoval verstreut.
    Aber wir hatten gewonnen. Ich versuchte sehr, mich darüber zu freuen.
    Salzleck setzte sich neben mich. Ein Blick sagte mir, dass es in ihm ähnlich aussah wie in mir. Die Veränderung, die ich zuvor bemerkt hatte, haftete ihm noch immer an, und ich glaubte, jetzt den Grund dafür zu erkennen. Er mochte betroffen sein, aber er wirkte auch stärker und selbstsicherer. Durch seine kurze Zeit als Stammesoberhaupt schien er ein neues Bild von sich gewonnen zu haben, und vielleicht gefiel es ihm.
    Salzlecks Mutter und zwei andere Riesinnen leisteten uns Gesellschaft. Sie blieben in Bewegung, brachten zuerst Eimer mit Wasser und dann frisches Obst und Gemüse aus dem Wald. Das Wasser nahm ich dankbar an, aber beim Gedanken an Essen drehte sich mir der Magen um – bis ich die Früchte probierte.
    Sie schmeckten einfach köstlich. Ich wusste, dass ich seit einem ganzen Tag nichts gegessen hatte, was vermutlich den wundervollen Geschmack erklärte, aber das war mir völlig schnuppe – ich genoss es einfach, mich vollzustopfen. Ich aß, bis nichts mehr hineinging, sank dann wieder ins Gras und schloss die Augen. Eine Riesin deckte mich zu, hob kurz meinen Kopf und legte etwas Weiches darunter.
    Ich lächelte, zu erschöpft, meine Dankbarkeit auf eine andere Weise zum Ausdruck zu bringen.
    Es war noch hell, als ich erwachte. Ich sah mich um und stellte fest, dass Estrada neben mir kniete. Hinter ihr hatten die Riesinnen die Stoffbahnen fast bis zum Boden herabgelassen, um uns ein wenig mehr Privatsphäre zu ermöglichen.
    »Guten Abend«, sagte ich.
    »Es ist Morgen. Du hast den ganzen Tag und die ganze Nacht geschlafen.«
    »Tatsächlich? Ich fühle mich, als könnte ich noch einige Stunden vertragen.«
    »Die Riesen sagen, dass du so lange bleiben kannst, wie du möchtest. Aber Alvantes und ich machen uns in einigen Minuten auf den Rückweg. Ich bin hier, um dich zu fragen, ob du mitkommen willst. Andernfalls sollten wir uns jetzt voneinander verabschieden.«
    »Was ist mit Salzleck?«
    »Er meinte, er wollte mit uns allen reden.«
    Ich schlug die Decke zurück. »Wenn Salzleck eine Rede geplant hat, möchte ich sie auf keinen Fall versäumen. Sie dürfte ein Meisterwerk der Knappheit sein.«
    Estrada lächelte. »Er verhält sich seltsam. Ich meine, nicht direkt seltsam …«
    »Entschlossen?«
    »Ja. Das trifft es.«
    »Ist mir ebenfalls aufgefallen.« Ich stand auf und streckte mich so sehr, dass die Gelenke knackten. »Er wäre ein gutes Oberhaupt gewesen, nicht wahr? Und ich habe ihn zu Anfang für einen großen Dummkopf gehalten.«
    »Weißt du, was mir am meisten daran gefallen hat, Bürgermeisterin zu sein?«,
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