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Im Schatten der Giganten: Roman

Im Schatten der Giganten: Roman

Titel: Im Schatten der Giganten: Roman
Autoren: David Tallerman , Andreas Brandhorst
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Riesen in der Nähe hatten den Stein gesehen, und plötzlich ertönten überall freudige Rufe.
    »Salzleck … nimm ihn!« Ich musste schreien, damit er mich hörte. »Bring den Stab in Ordnung. Sorg dafür, dass alles seine Richtigkeit hat.«
    Salzleck nickte knapp, bückte sich und nahm mir den Stein aus der Hand.
    Plötzlich donnerte es von allen Ecken des Platzes: »Shaltz Lekh! Shaltz Lekh!«
    Mit langsamen Schritten ging er in die Mitte der Lichtung, hob den Stab mit einer Hand und hielt ihn so sanft wie einen schlafenden Säugling. Behutsam schob er den Stein in die Klammer, schloss dann die Hand um Stein und Klammer und drückte zu. Als er die Hand fortnahm, war der Stab wieder komplett.
    Der darauf folgende Jubel war so laut, dass ich befürchtete, er würde mir die Trommelfelle zerreißen. Als Salzleck den Stab wieder an seinen Platz auf der Felsnadel setzen wollte, kam es zu einem Protestgeheul, das vielleicht sogar noch lauter war als zuvor der Jubel. Er zögerte, senkte die Hand, bohrte den Stab in den Boden und verneigte sich vor ihm. Die Riesen schwiegen plötzlich, und für mich fühlte es sich an, als hätte jemand alle Geräusche aus der Welt genommen. Alle zusammen verneigten sie sich, wie es Salzleck gerade getan hatte.
    Wenn die Zeremonie der Amtseinführung normalerweise noch mehr erforderte, so erfuhr ich es nicht, denn in diesem Augenblick kam ein Ruf vom Rand der Lichtung hinter uns. Ganz sicher war ich nicht, aber ich glaubte, die Riesin zu erkennen, die das Palisadentor für uns geöffnet hatte. Sie winkte, rief Salzlecks Namen und fügte etwas auf Riesisch hinzu. Dann drehte sie sich um und deutete in die Richtung, aus der wir gekommen waren.
    Salzleck zögerte nur einen Moment, und sein Blick glitt über die versammelten Riesen. Dann lief er los, mit dem Stab in der Hand.
    »Was ist?«, stieß ich hervor, als er an mir vorbeistürmte. »Was ist los?«
    Er gab keine Antwort, und ich beschloss, ihm zu folgen. Estrada blieb dicht hinter mir. Wir verließen die Lichtung, und der Abstand zu Salzleck wuchs mit jedem seiner Schritte. Ich wusste nicht, was die Riesin ihm zugerufen hatte, aber es regten sich dunkle Vorahnungen in mir. Mit ganzer Kraft lief ich, vorbei an den Bäumen und Stoffbahnen, die zu Schemen wurden, und es dauerte nicht lange, bis wir den Wald verlassen hatten.
    Als ich zu Salzleck aufschloss, geriet die Palisade in Sicht. Er war unten an der Böschung stehen geblieben und hatte den Kopf geneigt. Ich verharrte vornübergebeugt, die Hände auf den Knien, und schnappte nach Luft. Estrada tauchte neben mir auf und wirkte, als wäre sie am liebsten zu Boden gesunken.
    Zuerst hörte ich nur das laute Hämmern meines Herzens. Und dann, als das Trommeln nachließ, vernahm ich den Ruf. Er kam aus der Ferne und war nur schwer zu verstehen, aber es gelang ihm trotzdem, das Blut in meinen Adern in Eis zu verwandeln.
    »Riese! Dieb!«
    Ich dachte daran, einfach nicht darauf zu achten. Er war draußen und wir drinnen, in Sicherheit – warum es nicht dabei belassen? Aber wenn Moaradrid den langen Weg bis hierher gekommen war, so würde er sicher nichts unversucht lassen, sich Gehör zu verschaffen.
    »Wir sind hier!«, rief ich widerstrebend.
    »Ich habe hier jemanden, der eure Hilfe braucht. Einen Hauptmann der Wache, den ihr kennt.«
    Estrada hob die Hand vor den Mund und gab einen erstickten Laut von sich.
    »Diese Brücke ist zweifellos nicht für Verletzte bestimmt. Ihr solltet euch also besser beeilen.«
    » O nein.« Estrada sah mich an. »Damasco …«
    Sollte ich darauf hinweisen, wie sehr Alvantes mich hasste, und dass ich ihm gegenüber ganz ähnliche Gefühle hegte? Sollte ich erwähnen, dass wir gewonnen hatten, dass ich mein Versprechen eingelöst hatte? Könnten wir es nicht dabei belassen? Ich suchte nach möglichst überzeugend klingenden Worten und wusste doch, dass sie nicht überzeugend genug geklungen hätten. Die ganze Zeit blieb Estradas Blick auf mich gerichtet; Verzweiflung, Flehen und ein Hauch Hoffnung standen in ihren Augen.
    »Er will den Stein«, wandte ich mich an Salzleck. »Er wird versuchen, ihn gegen Alvantes’ Leben einzutauschen. Vielleicht kann ich ihn hinhalten, damit wir …«
    Ich unterbrach mich, als Salzleck den Stein aus der Klammer am Ende des Stabs riss.
    »Oh. Das geht natürlich auch.«
    Er machte einen Schritt zum Tor.
    Ich sprang vor ihn. »Warte, warte! Er will bestimmt, dass ich ihm den Stein gebe. Und seien wir ganz ehrlich: Du
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