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Im Schatten der Akazie

Im Schatten der Akazie

Titel: Im Schatten der Akazie
Autoren: Christian Jacq
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mein Sohn?«
    »Die Abgaben in der Region des Deltas, die du mich zu überprüfen gebeten hast, beruhen auf der Grundlage von achttausendsiebenhundertsechzig
    Abgabepflichtigen. Jeder
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    Rinderhalter ist für fünfhundert Tiere verantwortlich, und ich habe dreizehntausendundachtzig Ziegenhirten gezählt, zweiundzwanzigtausendvierhundertdreißig Geflügelzüchter und dreitausendneunhundertzwanzig Eseltreiber, die sich um mehrere tausend Esel kümmern. Die Ernten waren ausgezeichnet, die Schwindler nicht sehr zahlreich. Wie allzu oft hat sich die Verwaltung als übertrieben gewissenhaft gezeigt, ich habe aber eine sehr entschiedene Rede gehalten, daß die kleinen Aufseher nicht ehrbare Leute behelligen, sondern sich verstärkt der echten Betrüger annehmen sollen.«
    »Du kennst das Delta gut, mein Sohn.«
    »Ich habe bei dieser Mission viel gelernt. Um es mit den Bauern zu sagen: Ich habe das Herz des Landes schlagen gespürt.«
    »Vergißt du etwa die Priester, die Schreiber und die Soldaten?«
    »Mit ihnen pflege ich oft Umgang, aber eine unmittelbare und etwas längere Berührung mit den Männern und Frauen in bäuerlichen Verhältnissen hat mir gefehlt.«
    »Was hältst du von diesem Erlaß?«
    Ramses reichte Merenptah einen Papyrus, den er mit eigener Hand beschrieben hatte. Sein Sohn las ihn laut.
    »Ich, Ramses, Pharao von Ägypten, ernenne den Königlichen Schreiber, Siegelbewahrer und Oberbefehlshaber der Armee, Prinz Merenptah, zum Regenten über die Beiden Länder.«
    Nachdenklich blickte Merenptah seinen auf einen Stock gestützten Vater an.
    »Majestät …«
    »Ich weiß nicht, wie viele Jahre das Schicksal mir noch zugesteht, Merenptah, aber der Augenblick ist gekommen, dich auf den Thron zu holen. Wie mein Vater Sethos gehandelt hat, so handle auch ich. Ich bin ein Greis, du bist ein reifer Mann, 418

    der soeben das letzte Hindernis überwunden hat, das ich ihm auferlegt habe. Du verstehst zu herrschen, zu verwalten und zu kämpfen. Nimm die Zukunft Ägyptens in deine Hand, mein Sohn.«
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    SECHZIG
    WÖLFMAL WAR DER Nil seither über die Ufer g
    Z etreten, und Ramses, der inzwischen neunundachtzig war, herrschte seit nunmehr siebenundsechzig Jahren über Ägypten. Seinem Erlaß entsprechend, überließ er es Merenptah, das Land zu regieren. Der Sohn des Königs holte sich indes oft Rat bei seinem Vater, der für die Bewohner der Beiden Länder der herrschende Pharao blieb.
    Einen Teil des Jahres lebte er in Pi-Ramses, den anderen in Theben, stets in Begleitung seines treuen Freundes Ameni.
    Trotz seines hohen Alters und seiner vielfältigen Beschwerden arbeitete der Oberste Schreiber des Königs weiterhin auf seine Weise.
    Der Sommer brach aus.
    Nachdem Ramses den von seiner Tochter Merit-Amun ersonnenen und gespielten Weisen gelauscht hatte, unternahm er seinen täglichen Spaziergang über die Wiesen und Felder in der Nähe seines Tempels für die Ewigkeit, den er zu seiner Residenz erkoren hatte. Der Stock war nun sein bester Verbündeter, denn jeder Schritt bereitete ihm Mühe.
    Bei seinem im vergangenen Jahr gefeierten vierzehnten Fest der Erneuerung hatte sich Ramses eine ganze Nacht lang mit Setaou und Lotos unterhalten, die Nubien in eine reiche und glückliche Provinz verwandelt hatten. Auch der stämmige Schlangenbeschwörer war inzwischen ein Greis geworden, und selbst die hübsche Lotos hatte den Angriffen des Alters nicht standzuhalten vermocht. Wie viele Erinnerungen hatten sie heraufbeschworen! Wie viele aufregende Stunden erlebt! Und niemand hatte von einer Zukunft gesprochen, die keiner von ihnen mehr gestalten konnte.
    Am Rande seines Weges buk eine alte Frau in einem 420

    gemauerten Ofen Brot. Der Geruch stieg dem König in die Nase.
    »Gibst du mir einen Fladen?«
    Die Frau war so kurzsichtig, daß sie Ramses nicht erkennen konnte.
    »Das ist eine undankbare Arbeit.«
    »Die doch verdient, entlohnt zu werden … Reicht dir dieser Ring aus Gold?«
    Die Alte rieb das Schmuckstück am Saum ihres Schurzes, bis es glänzte, hielt es dicht an ihre Augen und sah es begehrlich an.
    »Mit dem könnte ich mir ein schönes Haus kaufen! Aber behalte deinen Ring und iß mein Brot … Wer bist du denn, daß du solche Wunderdinge besitzt?«
    Die Kruste des Brotes war goldbraun, knusprig. Sein Geschmack weckte unvermutet Erinnerungen an die Kindheit und verdrängte für einen Augenblick die Pein des Alters.
    »Behalte du diesen Ring, du kannst besser Brot backen als sonstwer.«

    Gern
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