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Im Schatten der Akazie

Im Schatten der Akazie

Titel: Im Schatten der Akazie
Autoren: Christian Jacq
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und in jeder Hieroglyphe weitergegeben, und es ist die Aufgabe unseres Geistes, zusammenzusetzen, was getrennt ist, wie Isis die verstreuten Teile des Leichnams von Osiris zusammengefügt hat. Unser ganzes Land ist ein Tempel, der den Himmel widerspiegelt, und es obliegt dem Pharao, dieses Buch offenzuhalten, damit die Augen des Herzens in ihm lesen können.«
    Kein Dichter, nicht einmal Homer, hätte die Worte finden können, die Freude und den Stolz zu beschreiben, die Ramses empfand, während er dieser Erkenntnis des Weisen lauschte.
    406

    ACHTUNDFÜNFZIG
    BGLEICH EINFACH, WAR Hefats Idee von
    fu
    O rchterregender Wirksamkeit: Das in den Speicherbecken angesammelte Wasser sollte vorzeitig abgelassen und die Schuld an diesem Fehler der Verwaltung angelastet werden, vor allem Ramses’ erstgeborenem Sohn Kha, der in seiner rein theoretischen Machtbefugnis als Oberaufseher über die Kanäle sein Siegel auf die Anweisung drücken und damit die Verantwortung für den Vorgang übernehmen mußte.
    Getäuscht durch gefälschte Untersuchungen, die Hefat ihnen vorsorglich geschickt hatte, waren die Provinzvorsteher in die Falle gegangen und glaubten, ihr Fruchtland ausdehnen, über zusätzliche Vorräte verfügen und ihrer Region mehr Wohlstand bescheren zu können. Wenn man die Fehler erkannte, war es zu spät. Dann war nicht mehr genug Wasser vorhanden, und die Hoffnung auf Ernteerträge zerrann.
    Außer Kha würde auch Ramses dafür beschuldigt werden.
    Nun konnten Narish und die phönizischen Kaufleute in Erscheinung treten und zu horrenden Preisen die Güter feilbieten, deren Ägypten bedurfte. Das Schatzhaus mußte ihre Bedingungen annehmen, und der alte Pharao würde von den ausbrechenden Unruhen hinweggerafft werden, indes Hefat die riesigen Gewinne einheimste. Wenn sich die Gelegenheit dazu bot, würde er den Wesir verjagen und sich selbst an dessen Stelle setzen. Wenn nicht, würde er sich mit dem gemachten Vermögen in Phönizien niederlassen.
    Er brauchte nur noch der Form Genüge zu tun und Kha darum bitten, sein Siegel auf das Schriftstück zu drücken. Dazu mußte er dem Oberpriester nicht einmal persönlich begegnen, denn der wies bestimmt seinen Schreiber an, die Sache zu 407

    erledigen.
    Dieser begrüßte Hefat herzlich.
    »Du hast Glück, der Oberpriester ist gerade hier und empfängt dich gern.«
    »Das ist nicht nötig«, wandte der Wasserfachmann ein, »ich möchte ihn nicht behelligen.«
    »Folge mir, ich bitte dich.«
    Ein wenig erregt, ließ sich der hohe Beamte in eine Bibliothek führen, in der Kha, mit einem Gewand aus Pantherfell bekleidet, einen Papyrus las.
    »Ich freue mich, dich zu treffen, Hefat.«
    »Für mich ist es eine große Ehre, Prinz, doch ich wollte dich nicht bei deinen Forschungen stören.«
    »Was kann ich für dich tun?«
    »Eine einfache Verwaltungsanweisung …«
    »Zeige mir das Schriftstück!«
    Khas Stimme klang ernst, sein Tonfall gebieterisch. Der Oberpriester entsprach nicht dem Träumer, den Hefat sich vorgestellt hatte.
    »Das ist ein ungewöhnlicher Vorschlag, der sorgfältig geprüft werden muß«, befand Kha.
    Dem Wasserkundigen gefror das Blut in den Adern.
    »Nein, Prinz, ein schlichtes Verfahren, um die Bewässerung zu vereinfachen, weiter nichts.«
    »Du bist zu bescheiden! Da ich nicht imstande bin, dazu eine Meinung abzugeben, werde ich dieses Schriftstück an einen Sachkundigen weiterleiten.«
    Bei einem anderen Fachmann, so dachte Hefat beruhigt, würde er nicht viel Mühe haben, ihn zu überzeugen, indem er sich auf seine herausragende Stellung berief.
    »Hier kommt derjenige, der dich beurteilen wird«, 408

    verkündete Kha.
    In einem Gewand aus feinem Leinen mit weiten Ärmeln trug Ramses an den Handgelenken seine zwei berühmten goldenen Armreife, die mit Wildenten aus Lapislazuli verziert waren.
    Unter dem Blick des Pharaos wich Hefat zurück, bis er an die hölzernen Gestelle voller Papyrusrollen stieß.
    »Du hast einen schweren Fehler begangen«, erklärte Ramses,
    »indem du dachtest, dein Wissen genüge dir, um dein Land ins Verderben zu stürzen. Ist dir nicht bekannt, daß Habgier eine unheilbare Krankheit ist, die blind und taub macht? Für einen Fachmann bist du recht oberflächlich gewesen, wenn du gemeint hast, Ägypten werde von Unfähigen regiert.«
    »Majestät, ich flehe dich an …«
    »Verschwende keine Worte, Hefat, du bist ihrer nicht würdig.
    In deinem Verhalten erkenne ich ein Merkmal von Chenar wieder, jene Schwäche, die
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