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Im Namen Des Schweins

Titel: Im Namen Des Schweins
Autoren: Pablo Tusset
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Weges, das schwierigste, schaffen zu können. Er zwingt sich, bewusst zu zittern, indem er die Brust- und Bauchmuskulatur anspannt, die Fußzehen in den Stiefeln ohne Unterlass bewegt und die Hände zu Fäusten ballt und sie wieder öffnet. Er versucht, jeden einzelnen Schritt mitzuzählen, um den Schlaf zu bekämpfen, der ihm schwer auf die Lider drückt: »Eins, zwei, drei, vier … «
    Nach kurzer Zeit hat er sich verzählt. Es ermüdet ihn ungeheuer, sich auf die Abfolge von Zahlen zu konzentrieren. Die Welt besteht nur noch aus seiner Atmung, seinen rhythmischen und methodischen Bewegungen, dem Knirschen des Schnees und der absoluten Dunkelheit.
    Als er auf allen vieren die ebene Fläche des Plateaus erreicht, kann er sich nicht mehr daran erinnern, wie er das letzte Stück auf den Horlá hinaufgekommen ist.
    Nachdem er oben ein paar Schritte aufrecht gelaufen ist, kniet er sich hin und stützt die Hände auf die Oberschenkel, um wieder zu Puste zu kommen. T dagegen steht mit gekreuzten Beinen da. Er lehnt mit einer Hand am Gipfelkreuz, das mitten auf dem Plateau steht und diesmal nur noch den Steinschopf aus dem Schnee reckt: »Bist Du sicher, dass Du es tun willst? Denk daran, dass diese Dinge einen großen Nachteil haben: Sie sind irreversibel. Alles in allem sind wir doch gar kein so schlechtes Team.«
    »Fahr zur Hölle«, antwortet ihm P, der immer noch außer Atem ist.
    Jetzt steht er auf. Er schaut nicht noch einmal hinunter in den Abgrund, sondern fängt an, ohne Abschied zu nehmen, zum Nordrand des Plateaus zu rennen, als fürchte er, dass er den Mut verlieren könnte, wenn er noch lange darüber nachdenkt. Laufen, einfach nur laufen und zum Schluss springen, das ist alles. T aber hat zu einem verheißungsvollen Satz angesetzt, genau genommen zu einer Frage, gerade als P ansetzte, ins Nichts zu rennen. Während P rennt, hat er noch genug Zeit, um ihm zuzuhören. Er begreift die Frage in ihrer ganzen Bedeutung just in dem Augenblick, in dem er zu seinem finalen Sprung ansetzt, über den Rand des Abgrunds hinausfliegt, um im Fallen nach einer Antwort zu suchen: »Und wieso bist Du Dir eigentlich so sicher, dass ich die Halluzination bin, Brüderchen?«

Epilog
    Mercedes sitzt im Ohrensessel vor dem Fernseher.
    Neben ihr, auf der Sitzgruppe liegt Kater Garfield. Aus der Küche ist Geklapper zu vernehmen. Ihre kleine Schwester María Luisa spült das Geschirr vom Mittag und sie dann das vom Abend, wenn sie vom Club und irgendeinem ihrer Kurse zurückgekommen sind. Mercedes trägt keine Trauerkleidung. Die hätte ihrem Mann nicht gefallen, denkt sie. Unter all den Tausenden von Erinnerungen, die ihr jeden Tag durch den Kopf gehen und die sie noch einmal durchlebt, erinnert sie sich aus unerfindlichen Gründen besonders gerne daran, wie er in Bermudas und dem rosafarbenen Hemd mit den Blumen in Calabrava lachend Paella gegessen hat. Obwohl er das Hemd eigentlich ja nur ein einziges Mal getragen hat. Einem fröhlichen Mann in einem Hemd voller Blumen sollte man jedenfalls nicht in Schwarz gedenken.
    Jetzt kommen gleich Nachrichten. Sie fangen mit dem kurzen Überblick an, den die Stimme der Moderatorin aus dem Off ankündigt: »Guten Tag, verehrte Damen und Herren: Die vermeintlichen Täter des grausamen Mordes in San Juan del Horlá, der sich im Mai letzten Jahres ereignet hat, wurden gefasst. Die Polizei meldete die Verhaftung von sechs Jugendlichen aus der Region, denen nun ein längerer Prozess droht.« Im Bild zu sehen ist der Saal für Pressekonferenzen im Morddezernat. Sanchís steht in Uniform vor dem Mikrofon.
    Da Mercedes Sanchís wiedererkennt, verfolgt sie aufmerksam die Berichterstattung, die sie sonst nicht interessiert hätte. Ihre Schwester kommt kurz darauf herein, setzt sich in den anderen Sessel und berichtet, wie gut das neue Spülmittel riecht. Mercedes bittet sie, noch kurz ruhig zu sein: »Psssst, warte mal kurz, ich will das nur noch schnell zu Ende hören.«
    »… Aufgrund der Zeugenaussage des Eigentümers des Schlachthofs und Beweisen, die verdeckte Ermittlungen des Morddezernats erbracht haben, kam es zu der Verhaftung mehrerer junger Männer, denen Entführung und brutaler Mord vorgeworfen wird. Sowie die Mitwirkung an weiteren Straftaten, zu denen die Ermittlungen noch nicht abgeschlossen sind. Der mutmaßliche Hauptverantwortliche der Tat ist ein gewisser Germán Marín Bancebo, alias Kainsmal, der in San Juan del Horlá geboren wurde und dort lebt. Die anderen fünf
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