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Im Licht der roten Erde

Im Licht der roten Erde

Titel: Im Licht der roten Erde
Autoren: Di Morrissey
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in dem Teenager und alte Männer zusammen beim Essen saßen – »Schwarze«, wie die Ureinwohner Australiens im Allgemeinen genannt wurden. In einem Gemeinschaftsraum spielten zwei Jungen Billard, mehrere Mädchen schauten fern. Zwischen zwei Räumen war eine Wand eingerissen worden, um eine Art Krankenstation zu schaffen, in der eine ordentliche Reihe von Betten stand. Ein Fenster ging auf einen Vorstadtgarten. Ein altes Eisengitterbettchen stand davor, mittendrin lag ein gelbes Bündel. Es sah nicht größer aus als eine Familienportion
fish and chips.
Gut verpackt, fertig zum Mitnehmen. Alan beobachtete, wie Joyce ein Eckchen der Decke zurückschlug. Das Baby rührte sich nicht. Bei seinem Anblick spürte Alan die unerwartete Anziehungskraft eines lieblich schlummernden, schutzlosen Geschöpfs. Unweigerlich dachte er an zu Hause, an den Geruch von Milch und Talkumpuder, an ein Köpfchen, das sich an seinen Hals schmiegte, an die dämmernde Erkenntnis von Liebe in großen, unbedarften Augen, und er berührte das weiche dunkle Haar auf dem Babykopf. »Sie ist wirklich eine ganz Süße.«
    »Ich hole die Schachtel mit ihren Sachen.« Joyce durchstöberte eine Plastikbox mit Windeln, Kleidung und einem Fläschchen. Ganz unten lag, gewaschen und zusammengefaltet, ein handbedrucktes Tuch. Sie reichte es Alan, der es öffnete und die Bilder und Symbole betrachtete.
    »Die sind mir schon mal untergekommen, aber ich muss erst meine Unterlagen durchgehen, um sie richtig zuordnen zu können. Darf ich das mitnehmen?«
    »Ich denke schon. Was meinen Sie, woher es kommt?«
    »Ich habe viel Zeit bei Künstlern in der Kimberley verbracht, dort habe ich diese Eule gesehen. Ich kenne eine Weiße, die mit den Aborigines arbeitet und mich bald besuchen kommt. Ihr würde ich das Tuch gern zeigen.«
    Alan faltete den Baumwollstoff wieder zusammen und legte ihn in eine Plastiktüte, die Joyce ihm gereicht hatte. »Ich frage mich, ob die Mutter aus der Kimberley nach Melbourne gekommen ist«, sagte er. »Vielleicht ist sie auch in der Stadt aufgewachsen und kennt die Eulengeschichte, hat aber keine Ahnung, wer ihre Leute sind.«
    »Möglicherweise weiß sie es nicht, weil sie eine Weiße ist. Vielleicht ist ja der Vater des Babys Aborigine.« Die Fürsorgerin beobachtete Alans Reaktion. »Also, Sie können das Tuch mitnehmen, aber vorher zeigen Sie mir bitte irgendeinen Ausweis, hinterlassen Ihre Adresse und Telefonnummer und bestätigen, dass Sie es innerhalb einer Woche zurückbringen werden.« Sie griff nach einem Notizblock mit dem Kopf der Fürsorgestelle für Aborigine-Kinder und reichte ihn Alan zusammen mit einem Stift. »Ich hoffe, Sie können helfen, um des Babys willen.«
    Die schwarze Frau und der weiße Mann blickten auf das dunkelhäutige Kind ohne Familie, ohne Namen … ohne das Wissen, dass es eines Tages für die Verflechtung vieler Leben verantwortlich sein würde.

[home]
    Barwon
    S hirley Bisson wurde wach und blickte auf die Uhr auf dem Nachttisch. Die grün leuchtenden Zeiger sagten ihr, dass es vier Minuten nach zwei war.
    Sie streckte ein Bein unter der weißen Damastdecke hervor und fragte sich, was sie geweckt haben mochte. Dann hörte sie es. In der Küche lief Wasser. Wurde wieder abgestellt. Eiswürfel fielen klirrend aus dem Eismacher an der Kühlschranktür in ein Glas. Sie war allein in der Wohnung. Ihre Gedanken rasten. Ein Einbrecher? Doch wie konnte er in ihr gesichertes Gebäude gelangt sein, geschweige denn in ihr Apartment? Dachte er, es wäre leer, oder war der Einbrecher so unverfroren, dass er nichts und niemanden fürchtete? Sie blickte zum Telefon, wohl wissend, dass man es auf dem Küchenapparat hörte, wenn sie die Wahltasten drückte. Waren da Schritte auf dem Teppich? Sollte sie sich einfach verstecken und ihn die Wohnung ausplündern lassen?
    Schreien würde nichts nützen in ihrer schalldichten Luxuswohnung. Sie erkannte die Gestalt eines Mannes, der durch die Schlafzimmertür trat, und war wie erstarrt, unfähig, sich zu bewegen. Seine Bewegungen wirkten schemenhaft und bedrohlich. Sie umklammerte die Decke über ihren nackten Brüsten, und der Schrei, der in ihrer Kehle emporstieg, erstickte zu einem gepressten Japsen, als er zu sprechen begann.
    »He, Shirley. Hast du mich vermisst?«
    »Mach, dass du hier rauskommst. Ich hab dir doch gesagt, du sollst dich nicht mehr blicken lassen. Ich werde die Polizei rufen. Wie kannst du es wagen, bei mir einzubrechen!«
    »Wieso
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