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Im Licht der roten Erde

Im Licht der roten Erde

Titel: Im Licht der roten Erde
Autoren: Di Morrissey
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Leinwand, versehen mit den leuchtenden Acrylfarben, die auf der roten Erde lagen. Das war ihre letzte Geschichte.
    Ihre Zeit war gekommen. Sie hatte den Statistiken getrotzt und ihre Zeitgenossen um Jahrzehnte überlebt.
    Graues Haar war in dünnen Büscheln hinter ihre Ohren gestrichen, das Gesicht zerfurcht von Falten, der Körper plump, fett von stärkehaltigem Essen, Zucker und Erfrischungsgetränken. Florrie war müde. Der Treibstoff künstlerischen Schaffens, der Florence Namurras Kunstgewerbe befeuert und ihr einen Ruf bei Kunstliebhabern auf der ganzen Welt beschert hatte – nicht zu vergessen ein gutes Einkommen –, ging in dem Augenblick zur Neige, in dem sie ihren Pinsel niederlegte.
    Vor gerade mal neun Jahren hatte sie damit begonnen. Das erste Mal hatte eine weiße Dame von der Wohlfahrt den Frauen in den 1970 ern Farben gebracht, Wachs, Pigmente, Baumwolle und Leinwände, doch Florrie hatte sich im Hintergrund gehalten, scheinbar desinteressiert vor ein Lagerfeuer gekauert, umgeben von verstreuten Besitztümern, räudigen Hunden und Enkelkindern. Dann, früh an einem frischen Morgen nach ihrer morgendlichen Tasse Tee, hatte sie die alte graue Decke abgeworfen, die sie als Umhang trug, und verkündet, sie sei bereit, sich an »diese Malerei« zu machen. Sie hatte keinerlei Rat oder Vorschläge beherzigt, sondern den anderen den Rücken gekehrt und allein gearbeitet, hatte ihre eigene Technik mit Punkten und Linien entwickelt und Leinwand für Leinwand mit kräftigen, lebendigen Strichen versehen, die ihre Geschichten erzählten.
    Innerhalb von zwei Jahren hatte sie den großen Durchbruch erzielt. Die alte Frau aus dem Outback wurde als Kunstikone gefeiert, die Händler rissen sich um sie, Galerien fragten nach ihren Werken. Geld floss ins Lager, das jedoch genauso schnell wieder verschwunden war, gemäß dem Aborigine-Grundsatz »Was dein ist, ist auch mein«. Schon bald machten es die Ansprüche der Gemeinschaft erforderlich, dass sie die meiste Zeit des Tages mit Malen verbrachte: noch ein Auto, mehr Bares, mehr, mehr. Das Talent, das Ansehen, das Geld, die Anerkennung brachten ein ganzes Spektrum an Kunsthändlern mit sich, skrupellos, hellhörig, durchtrieben, die sich um Florries Werke rissen. Touristen zogen zu dem heruntergekommenen Lager und baten sie, auf die Schnelle »eine kleine Florrie« für sie zu malen. Sie tat ihnen den Gefallen, so waren die Aborigines nun mal. Aber jetzt war Florrie ausgelaugt. Saftlos wie eine alte Frucht.
    Sie entfernte sich vom Feuer, ging an der zerbeulten Wellblechhütte vorbei, in der sie auf dem Boden schlief – ein Bett hatte sie immer verschmäht. Die alte Aborigine hielt auf eine Gruppe spindeldürrer Eukalyptusbäume zu und legte sich auf ihre Mutter Erde. Dort zog sie ihre alte graue Decke eng um sich und ruhte sich aus. Und schlief. Und starb.
    Florries Geist war jetzt frei. Er löste sich aus dem Körper, der ihn gehalten hatte, stieg auf und trat seine Reise zu ihren Ahnen an, zu ihren bei der Geburt verstorbenen Kindern und deren Vätern, zu ihren Freunden.
    Binnen weniger Tage kreisten die Aasgeier über dem Lager und ließen sich nieder.
     
     
     
    Susan Massey trocknete sich ab und zog sich an. Im Radio liefen die ABC -Morgennachrichten. Ihre Gedanken waren bei dem Fall, den sie heute Morgen vor Gericht bringen würde. Sie öffnete ihren Schrank und blickte sehnsüchtig auf ihre Lieblingsbuschmontur, doch sie entschied sich für einen dunkelblauen Anzug und eine elegante weiße Seidenbluse. In einem kleinen Anfall von Trotz befestigte sie eine Eidechsenbrosche aus Markasit an ihrem Revers und wandte sich dem Radio zu. Der Nachrichtensprecher hatte ihre Aufmerksamkeit geweckt.
     
    Eine der erfolgreichsten Aborigine-Malerinnen der Bungarra-Künstlerkolonie in der nordwestaustralischen Kimberley-Region ist tot. Es wird angenommen, dass die Frau über achtzig Jahre alt war. International bekannt geworden ist die Künstlerin durch zwei ihrer Meisterwerke in Acryl, die gerade erst für mehr als eine halbe Million Dollar nach Europa verkauft wurden. Die Familie der Verstorbenen hat gebeten, ihren Namen gemäß dem Brauch der Aborigines ungenannt zu lassen.
     
    »Ich wette, die Kunsthändler stürmen mit gierig ausgestreckten Händen so schnell sie können nach Nordwesten«, mutmaßte Susan und stellte das Radio ab, dann nahm sie ihre Autoschlüssel und ging zur Tür hinaus.
    Sie legte die Lederumhängetasche, die sie als Aktentasche benutzte, auf
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