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Im Land der Feuerblume: Roman

Im Land der Feuerblume: Roman

Titel: Im Land der Feuerblume: Roman
Autoren: Carla Federico
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den letzten Jahren all die »Intelligenzblätter« gelesen – nützliche Informationsbroschüren für Auswanderer. In einem dieser Blätter waren sie auf den Namen von Bernhard und Rudolph Philippi gestoßen – ein deutsches Brüderpaar, das den weitgehend menschenleeren Süden Chiles erforscht und die dortige Regierung überzeugt hatte, man könne sich dieses wilde Land leichter untertan machen, wenn man deutsche Siedler zu sich holte, die für ihren Fleiß und ihre Genügsamkeit, ihr handwerkliches Können und ihre Erfahrung in der Landwirtschaft bekannt waren. Bernhard Philippi war schließlich zum Kolonisationsagenten in Deutschland ernannt worden.
    Elisa kniff ärgerlich die Lippen zusammen, als sie sah, wie ihr Vater Annelie seine Jacke reichte, damit sie sie zusammenfalten und darauf bequemer sitzen konnte. Früher hatte seine Fürsorge ausschließlich ihrer Mutter gegolten, vor allem als deren Husten immer schlimmer geworden war, sie begonnen hatte, Blut zu spucken, und sie schließlich am Sterbebett Mann und Tochter das Versprechen abgerungen hatte, an den Reiseplänen festzuhalten.
    Vor unterdrückter Wut rammte sie ihre Fersen in den Boden. Derart ins Grübeln vertieft, sah sie die Gestalt nicht kommen, mit der sie plötzlich unsanft zusammenstieß. Irgendetwas Spitzes, Hartes rammte sich in ihre Brust. Die Luft blieb ihr weg; das Blechgeschirr, das sie wie jeder Auswanderer an ihrem Gürtel trug – ein Trinkbecher, eine Butterdose, eine Ess- und eine Waschschüssel sowie Besteck gehörten dazu – klapperte.
    »He!«, rief sie empört.
    Als sie hochblickte, sah sie in das mürrische Gesicht des Mannes, der vorhin dem flüchtenden Knaben nachgejagt war. Dass er sie fast über den Haufen gerannt hatte, schien ihn nicht weiter zu stören. Anstatt stehen zu bleiben, sich zu entschuldigen und sich zu vergewissern, dass es dem Mädchen nach dem Zusammenstoß auch wohl erging, lief er weiter – und jetzt erkannte Elisa auch, warum sein eben noch grimmiges Gesicht einen solch entschlossenen Ausdruck angenommen hatte.
    Dort vorne war er wieder, der zerzauste Junge, dem es eben noch gelungen war, wendig durch die Menschenmenge zu flitzen, der dann aber mehr oder weniger im Kreis gelaufen war und sich jetzt von einer Reihe von Kisten aufgehalten sah, die auf die Verladung warteten.
    Hektisch spähte er nach rechts oder links, um einen Fluchtweg zu entdecken, doch es war zu spät. Der finstere Mann hatte ihn eingeholt, packte ihn am Ohr und zerrte ihn so heftig zurück, dass der Knabe schrill aufkreischte.
    »Hab ich dich endlich!«, knurrte der Mann.
    Sein Griff wurde fester, der Junge kreischte wieder. Ganz gleich, was er sich zuschulden hatte kommen lassen – Elisa fand, dass er eine derart rüde Behandlung nicht verdiente.
    »Ich bin kein Dieb!«, klagte der Junge. »Ich habe Ihnen nichts gestohlen. Bitte … Sie müssen mir glauben.«
    Sein Gesicht war vor Schmerz und Empörung rot angelaufen.
    Elisa konnte gar nicht anders, als zu den beiden zu eilen. »Er ist doch noch ein Kind!«, rutschte es ihr heraus.
    Der Mann, der trotz seines nunmehr breiten Grinsens weiterhin mürrisch blickte, hörte nicht auf sie. Er nahm auch die dünne Frau nicht wahr, die nun vorsichtig an ihn herantrat.
    »Lambert, nun lass ihn doch … Er hat wirklich nicht …«
    »He, Sie da!«, schrie er. Er richtete sich an einen Hafenarbeiter, der eben eine der Kisten anhob, die dem Knaben den Fluchtweg versperrt hatten, sie nun aber wieder sinken ließ und müde hochblickte.
    »Ja, Sie meine ich!«, brüllte der Mann, den die verhuschte Frau – offenbar seine Gattin – Lambert genannt hatte. »Ich habe diesen Streuner hier erwischt! War ganz allein unterwegs, der Bengel, und hat seinen Blick gar nicht von meiner Geldbörse nehmen können.«
    »Aber ich habe sie nur angesehen, nicht gestohlen!«, jammerte der Junge.
    »Weil ich rechtzeitig achtgegeben habe, ja! Möchte aber nicht wissen, wie viele ehrliche Reisende du schon um ihren hart verdienten Besitz erleichtert hast.«
    »Keinen einzigen! Ich schwöre es! Ich wollte nur …«
    Die dünne Frau schaltete sich wieder ein, ihre Stimme war jedoch kaum lauter als ein Flüstern. »Lambert, vielleicht solltest du …«
    »Halt den Mund!«, schrie Lambert rüde. Elisa war sich nicht sicher, wem er da zu schweigen befahl, dem Knaben oder seiner Frau. Unhöflich fand sie es in jedem Fall, und es störte sie nicht minder als die Selbstgerechtigkeit, mit der er den Knaben
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