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Im Land der Feuerblume: Roman

Im Land der Feuerblume: Roman

Titel: Im Land der Feuerblume: Roman
Autoren: Carla Federico
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jenem Abend genauso wie in den Wochen, die folgten und in denen der Bischof hartnäckig sein Anliegen wiederholte. Pastor Zacharias wurde zunehmend wankelmütiger, wenn er versuchte, Gegenargumente vorzubringen. Nicht, dass er der Vorstellung von der Wildnis mit der Zeit etwas Gutes abgewinnen konnte, doch er war viel zu gutmütig, zu bequem und zu konfliktscheu, um der Entschiedenheit des anderen mehr entgegenzusetzen als fahrige Ausflüchte, die ihm irgendwann ausgingen.
    »Siehst du?«, sagte Cornelius. »Du musst nur noch ein kleines Stückchen gehen. Dort hinten können wir uns endlich anstellen.«
    »Endlich?«, rief Pastor Zacharias, sichtlich entrüstet, dass für Cornelius nur lästige Wartezeit war, was er als letzte Galgenfrist betrachtete.
    »Ich gehe erst mal nirgendwo hin«, erklärte er trotzig. »Seit dem Frühstück habe ich nichts zu essen bekommen. Wenn man mich nicht ohnmächtig aufs Schiff schaffen will, brauche ich eine Stärkung.«
    Er machte allerdings keine Anstalten, sich diese selbst zu organisieren, sondern hockte sich auf eine der Kisten. Auch wenn er sich dem Bischof schließlich gebeugt hatte, weil er Streit fürchtete – im Kleinen leistete er immer noch Widerstand. Aus jeder Nichtigkeit, die auf der Reise schieflief, formte er ein Hindernis, das ihm selbige schier unmöglich machte; jede Beschwerlichkeit wurde zur unerträglichen Überforderung.
    »Vorhin habe ich gesehen, wie einige Mitarbeiter des Sankt-Raphael-Vereins Suppe an die Auswanderer verteilten«, meinte Cornelius. »Ich … ich hole dir am besten davon.«
    Cornelius verkniff sich zu sagen, dass diese Fürsorge den Ärmsten unter den Auswanderern galt – denjenigen, deren letzte Mahlzeit schon viel länger zurücklag als das Frühstück. Ehe sein Onkel etwas entgegnen konnte – schale Suppe mit zähem Fleisch war gewiss nicht nach seinem Geschmack –, eilte er davon, um sich dessen Klagelieder nicht länger anhören zu müssen.
    Cornelius schwankte nun schon seit Tagen dazwischen, sich wegen Zacharias Suckows Zustand Sorgen zu machen oder sich darüber zu ärgern. Manchmal fluchte er innerlich über ihn – um sich im nächsten Augenblick vorzuhalten, dass dessen Angst vor der Fremde doch verständlich war. Er selbst schmeckte im Übrigen nichts davon. Über das Ziel ihrer Reise hatte er wenig nachgedacht; die einzige Gewissheit, die in ihm brannte, war, dass er hier in Deutschland nicht bleiben konnte. Pastor Zacharias hing an der Heimat, obwohl er seit langem verwitwet war, kaum Freunde besaß und seine wenigen Laster – nicht nur Portwein und Zigarren gehörten dazu, auch das Glücksspiel und das Bedürfnis, sich von seiner Gemeinde bewundern zu lassen – auch anderswo würde ausleben können. Cornelius hingegen wusste schon lange nicht mehr, was Heimat überhaupt bedeutete; vielleicht hatte er es nie gewusst.
    Kurz vor ihrer Abfahrt war er auf den Friedhof geschlichen, um dort ein letztes Mal an den Gräbern jener beiden Menschen zu stehen, die sein Leben am entschiedensten geprägt hatten. Da war die Frau, die er schlimm gekränkt hatte, anstatt ihr zu beteuern, dass er sie liebte, der er die Schuld daran gab, nicht studieren zu können, und die ihm nun, da sie tot war, doch unendlich fehlte.
    »Es zählt nicht mehr«, sprach er. »Es zählt nicht mehr in dem fremden Land, in das ich gehe. Dort weiß man nichts von mir … von dem Makel meiner Geburt.«
    Ernst und gefasst hatte er diesen Abschied hinter sich gebracht. Viel mehr weh wurde ihm ums Herz, als er an Matthias’ Grab stand.
    »Keine Revolution lohnt es, dafür zu sterben, schon gar nicht eine, die scheitert.«
    Jene Worte, die er dem Freund einst gesagt hatte, fielen ihm wieder ein. Damals, als Matthias noch gelebt hatte, hatte er sich als der Klügere gefühlt, der Nüchternere, der Überlegtere. Nun fragte er sich erstmals, ob er nicht einfach nur der größere Zauderer, der größere Feigling gewesen war – und ob Matthias, dem er bei ihrer letzten Begegnung vorgehalten hatte, dass Heldenmut bloß die Kehrseite von Todessehnsucht sei, nicht den einzig richtigen Weg gewählt hatte, um mit dem Ende ihrer Träume zu leben – ganz anders als er. Die Reise in die Ferne war ihm in diesem Augenblick als Flucht erschienen.
    Er schüttelte den Kopf, um die düsteren Gedanken zu vertreiben; derart darin versunken, sah er nicht den großgewachsenen, wenngleich vom Alter etwas gebeugten Mann auf sich zustürzen. Er blickte erst hoch, als dieser
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