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Im Land der Feuerblume: Roman

Im Land der Feuerblume: Roman

Titel: Im Land der Feuerblume: Roman
Autoren: Carla Federico
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hatte, sei hart, aber es gäbe hier tatsächlich Land für jedermann: Die meisten Gebiete seien von dichtem Urwald bedeckt, doch wenn man diesen erst abgeholzt hätte, könnten fruchtbare Ländereien entstehen.
    Der Vater hatte bis zuletzt daran gezweifelt, ob Chile das richtige Ziel für sie sei – so wie er immer zweifelte, ehe er eine Entscheidung traf.
    »Mein Vater hat es lange aufgeschoben«, sagte sie zu Poldi, »aber nach dem letzten Hungerwinter …«
    Sie brach ab. Bis jetzt waren die Laute von draußen gedämpft hereingedrungen, Stimmen der Auswanderer und die Befehle derer, die die Schiffe kontrollierten. Nun plötzlich aber schwollen die einzelnen Wortfetzen an, wurden zu tosendem Lärm. Alle schienen gleichzeitig zu reden, alle sich gleichzeitig zu erheben und in eine Richtung zu strömen.
    Elisa und Poldi starrten sich entsetzt an, begriffen beide im Bruchteil eines Augenblicks, dass das nur eines bedeuten konnte: Das Schiff war von den Inspektoren nun endlich freigegeben worden und konnte von den Passagieren bestiegen werden.
    Im nächsten Augenblick schälte sich schon eine Stimme aus dem Gewirr der vielen und erteilte strikte Befehle, wo man Aufstellung zu nehmen habe, ehe es an die Zuteilung der Beiboote ging.
    Elisa stürzte zum Tor, rüttelte daran, obwohl sie längst wusste, dass es zwecklos war. Auch ihre Hände wurden nun schmutzig-rot vom Rost.
    »Du meine Güte!«, schrie Poldi. »Es geht aufs Schiff. Und uns haben sie vergessen!«
    Diesmal widersprach Elisa seiner Befürchtung nicht.
    »Zu Hilfe!«, schrie sie laut, obwohl sie gegen den Lärm kaum ankam. »Wir sind hier eingesperrt! Zu Hilfe!«

    Pastor Zacharias Suckow blieb unvermittelt stehen. Schon mehrmals hatte er Anstalten gemacht, keinen Schritt weiterzugehen, doch bislang war es Cornelius immer wieder gelungen, ihn mit sich zu zerren. Nun widersetzte er sich endgültig dem fordernden Griff.
    »Ich kann mir nicht helfen«, erklärte der Pastor trotzig, »aber ich habe kein gutes Gefühl.«
    Cornelius seufzte und suchte, wie so oft in den letzten Tagen, nach dem geeigneten Zuspruch, um den Onkel voranzutreiben. Nicht nur das war in diesem Augenblick eine Herausforderung. Auch galt es, der immer dichter werdenden Menschenmenge bestmöglich auszuweichen. Hafenarbeiter und Schauerleute zerrten Güter- und Gepäckwagen mit sich, Seeleute hantierten fluchend mit Tauen, neugierige Zuschauer kamen aus allen Teilen Hamburgs, um ebenso fasziniert wie mitleidig die Auswanderer zu bestaunen.
    Bunt gemischt war dieses Völkchen: Gebrechliche und Schwache befanden sich darunter, rüstige Männer und Frauen, neugierige Jugendliche und kleine Kinder. Die Hitze hatte sie bis eben noch müde gestimmt, doch seit durchgedrungen war, dass es nun an die Einschiffung ging, waren sie allesamt wieder erwacht. Ein Drängen und Schreien hatte begonnen, ein Fluchen und Jauchzen, ein Singen und Klagen, ein Lachen und Weinen. Die einen waren aufgeregt, die anderen verängstigt.
    »Achtung!«, ertönte eben ein lauter Ruf hinter ihnen. Gerade noch rechtzeitig konnte Cornelius seinen Onkel zur Seite ziehen und somit vermeiden, dass ihn die Männer mit dem Gerät rammten, das sie hinter sich herzogen. Es war groß und schwer und bestand aus diversen Schläuchen und Wasserbehältern.
    »Schau nur!«, rief Cornelius und versuchte, mitreißend zu klingen. »Das ist ein Destillierapparat zur Herstellung von Trinkwasser. Ich nehme an, sie bringen ihn jetzt aufs Schiff.«
    Der Onkel hörte nicht auf ihn. »Ich kann mir nicht helfen, aber ich habe kein gutes Gefühl.«
    Was eigentlich nicht verwunderlich war, ging Cornelius durch den Kopf. Pastor Zacharias fühlte sich nur dann wohl, wenn er entweder auf der Kanzel stand und vollmundig predigte, bis ihm der Schweiß aus allen Poren brach, oder wenn er vor einem randvoll gefüllten Glas Portwein saß und eine fette Zigarre in den Händen drehte.
    Cornelius musterte ihn von der Seite und unterdrückte nur mühsam ein Seufzen. Der Onkel machte ein so verzweifeltes Gesicht, als würde er gleich losheulen wollen. In seiner Gegenwart kam sich Cornelius – obwohl doch erst dreiundzwanzig Jahre alt – oft würdig, abgebrüht und lebenserfahren vor wie ein Greis, wohingegen Zacharias Suckow, der längst graue Haare und ein dichtes Netz aus Falten bekommen hatte, sich wie ein kleines Kind benahm, das zum ersten Mal in seinem Leben der großen, gefährlichen Welt mit all ihren Tücken ausgeliefert war.
    Wenn er sich doch nur
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