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Im Königreich der Frommen (German Edition)

Im Königreich der Frommen (German Edition)

Titel: Im Königreich der Frommen (German Edition)
Autoren: Peter Boehm
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zusammen. Nennen wir ihn Paul der Einfachheit halber. Das
war das Unglück. Vielleicht war es auch ein Glück. Wäre
ich nicht mit Paul zusammengezogen, wäre ich jetzt vielleicht
noch im Königreich. Wer weiß. Vielleicht war es auch ein
Glück.
    Paul war Anfang
fünfzig. Er hatte strohblonde Haare, einen kurzen GI-Schnitt,
einen Specknacken und ein blasses, fleischiges Gesicht, dessen Farbe
und Form ich mit Metzgerhänden verbinde. Er hatte eine tapsigen
Gang. Und er war sehr nett. Das merktest du sofort. Zu nett. Fast
unterwürfig nett. Der Geist eines Kindes im Körper eines
Mannes wirklich. Er war wie ein weicher Schaumstoffball. Den jeder
herumkickte. Den das Leben herumkickte.
    In Kalifornien
hatte er für einen Immobilienmakler gearbeitet, erzählte
mir Paul gleich am Anfang. Soweit ich das verstanden habe, war der
so etwas wie ein Ersatzvater für ihn. Er starb und hinterließ
Paul eine Leibrente. Die er allerdings in Thailand verpfänden
musste. Erst 2020 hatte er darauf wieder Zugriff, erzählte er
und machte dazu ein Gesicht, das sagte: stell dir das vor!
    Paul ging nach
Thailand. Dort unterrichtete er ein paar Jahre. Dort heiratete er
eine Thailänderin. Jeden Abend telefonierte er mit ihr. Durch
die Wände hörte ich ihn immer wieder dieselben stupend
simplen Dinge wiederholen, wenn sie sie wieder nicht wuppte. Durch
die Wände hörte ich auch ihr selbst für ein Kind
peinliches Englisch. Ihr schickte er sein ganzes Geld, so viel, dass
er sich Geld von mir borgte, damit er nicht hungern musste. Dass er
einen Job im Königreich fand, war „riesiges Schwein“,
sagte er.
    Paul hatte ein
lexikalisches Wissen über alte amerikanische Autos. Sahen wir
einen Film zusammen, hörtest du ihn sagen: „55er
Thunderbird“ oder „67er Mustang“. Damit hätte
er im Fernsehen auftreten sollen.
    Aber Paul war zu
gut für die Welt, wirklich. So gut, dass es dich nervte. Immer
schauten wir die Filme, die ich sehen wollte. Na gut, sein Geschmack
war auch nicht salonfähig. „Mandingo“ und „Drum“
waren seine erklärten Lieblingsfilme. Der eine ist so unguckbar
wie der andere. Beide wurden Mitte der siebziger gemacht und spielen
im Ante-Bellum-Süden, in der Hochzeit der Sklaverei. Wie die
Sklaven in den Filmen behandelt werden, verletzt jede zivile
Schamgrenze.
    Aber Paul war ein
pathologischer Schwarzenhasser. Deshalb gefielen ihm die Filme. Mit
anderen Leuten hatte er keine Probleme, aber alle Leute mit dunkler
Hautfarbe bedachte er stets mit dem N-Wort. Sein Rassismus war so
plakativ und comic-haft, du wusstest sofort, irgendetwas
Dramatisches musste vorgefallen sein in seinem Leben, ein
Schlüsselerlebnis wohl, das ihn so werden ließ, wie er
war. Besorgt wieder so eine Geschichte zu hören, die mir im
Kopf haften blieb, ob ich wollte oder nicht, habe ich nie gefragt,
was dieses Erlebnis war.
    Wenn sich Paul
wieder einmal rumschubsen ließ, dachte ich immer, jetzt steh
doch mal für dich ein, Mann. Andauernd musstest du überlegen,
übervorteile ich ihn jetzt wieder. Andauernd hattest du ein
schlechtes Gewissen. Er war mein Vader. Er führte mich in
Versuchung, ihm meinen Willen aufzuzwingen.
    In Malaz war die
trockene Zeit im Königreich vorbei. Ich ging unter die Winzer.
Ein Kollege, der bei Nacht und Nebel aus dem Königreich floh,
hinterließ mir seinen Vorrat an Weinhefe. Traubensaft habe ich
im Supermarkt gekauft. Zucker gab's überall. Mehr brauchst du
nicht.
    Das Ergebnis meiner
Winzerkünste ließ die Künste der richtigen Winzer in
einem ganz neuen Licht erscheinen. Wenn du aus Traubensaft aus dem
Supermarkt so etwas machen konntest, wie schwer konnte es sein,
richtigen Wein zu machen?
    So geht es: Du
rührst einfach die richtige Menge Hefe mit ein bisschen warmem
Wasser an. Dann verflüssigst du den Zucker in einem Topf auf
dem Herd, damit er sich später besser im Traubensaft verteilt.
Es geht auch ohne zusätzlichen Zucker, aber je mehr Zucker du
reintust, um so mehr Alkohol entsteht.
    Hefe, Zucker und
Traubensaft schüttest du zusammen in einen Behälter. Ich
benutzte eine Fünf Liter-Trinkwasserflasche. Einen Gäraufsatz
hatte ich von meinem Kollegen auch bekommen, brauchst du aber nicht.
Entscheidend ist, dass das Kohlendioxid entweichen kann, das durch
die Gärung einsteht, aber keine Fremdstoffe in die Flasche
kommen.
    Das Ganze lässt
man eine gute Woche gären. Kleine Gasbläschen fangen an,
in der Flasche nach oben zu steigen. Wenn sie das nicht mehr tun,
ist der Zucker vollständig in
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