Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Im Jenseits ist die Hölle los

Titel: Im Jenseits ist die Hölle los
Autoren: Arto Paasilinna
Vom Netzwerk:
Sie rieb sich die Augen, bis sie rot waren. Dann schmierte sie sich ein wenig Wimperntusche auf die Wangen, damit es so aussah, als ob sie geweint hätte. Sie versuchte sogar, wirklich zu weinen, doch das wollte ihr nicht gelingen.
    Es kränkte mich, als ich sah, wie wenig ihr die Nach­ richt von meinem Tod ausmachte. Dass sie immerhin versuchte, Außenstehenden den Eindruck zu vermitteln, sie trauere, war ein zu geringer Trost.
    Schließlich zog meine Frau einen schwarzen Popeli­ nemantel an und bestellte ein Taxi, um ins Kranken­ haus zu fahren und meine Leiche zu identifizieren. Ich beschloss, mitzufahren. Es interessierte mich, wie ich jetzt, da ich bereits steif geworden war, aussah.
    3
    Die ersten Tage nach meinem Tod waren voller Überra­ schungen, eine merkwürdiger als die andere. Schon allein, dass ich mich ungehindert und so überaus schnell bewegen konnte, setzte mich stets aufs Neue in Erstaunen. Ein ums andere Mal musste ich feststellen, dass der Mensch nach seinem Tod noch viel zu lernen hatte.
    Ob ich im Himmel oder in der Hölle oder im Fegefeuer gelandet war, interessierte mich nicht besonders. Die Hauptsache war, dass ich irgendwie mein Leben oder mein Dasein, wie immer man es auch nennen mochte, fortsetzen konnte.
    Natürlich beschäftigte mich hin und wieder die Frage, wo ich mich eigentlich befand. Weshalb war ich nicht ein für alle Mal tot, sondern existierte als eine Art Geist weiter? Die Antwort darauf blieb jedoch zunächst offen.
    Manchmal dachte ich darüber nach, wer in diesem Jenseits wohl die höchste Macht innehatte. Wer leitete alles? Welche war meine Stellung in der Hierarchie, waren die Verhältnisse überhaupt irgendwie geregelt?
    Wenn der Mensch geboren wird, ist er ein kleines Baby, das noch nicht einmal sehen kann. Ein Säugling begreift nichts vom Lauf der Welt, stellt keine Fragen, fürchtet sein neues Dasein nicht und wundert sich nicht darüber. Ihm genügt es, an der Brust der Mutter zu trinken und den ganzen Tag zu schlafen. Erst Jahre später beginnt das Kind seine Umgebung zu begreifen und Fragen zu stellen.
    Den Tod kann man insofern mit der Geburt verglei­ chen, als auch mit ihm ein neues Dasein beginnt – ich hatte es gerade erst selbst erfahren. Das Ereignis ist trotzdem komplizierter als die Geburt, denn für gewöhn­ lich stirbt der Mensch bei vollem Bewusstsein, und er trifft völlig unvorbereitet auf seine neuen Bedingungen. Auf einen Neugestorbenen stürzt eine ungeheure Menge von Fragen ein. Schon weniger reicht aus, um ihn völlig zu verwirren.
    Wenn die Menschen erwachsen zur Welt kämen und nicht als Babys, gäbe es ein ziemliches Durcheinander, weil die Neuankömmlinge sofort versuchen würden, sich alle Kenntnisse und Fähigkeiten anzueignen. Durch die Gänge der Geburtskliniken würden bedepperte neugebo­ rene Erwachsene irren und ungeduldig nach dem Grund ihrer Geburt fragen. Außerdem müssten die Mütter dementsprechend größer sein. Eine Frau, die einen ausgewachsenen Menschen gebären sollte, müsste an die dreihundert Kilo wiegen, über vier Meter groß sein und einen Beckenumfang von mindestens anderthalb Meter haben. Mit einer solchen Frau hätte ein Mann von normaler Größe seine liebe Not, im Streit wie auch in der Liebe.
    Zwei Tage nach meinem Tod ging ich in den Lesesaal der Helsinkier Stadtbibliothek, um mir anzusehen, was meine Journalistenkollegen über meinen Tod in der Zeitung berichtet hatten. Ich musste dazu den Lesesaal aufsuchen, weil ich mir, geld- und körperlos, wie ich war, keine Zeitung am Kiosk kaufen konnte, und ich war natürlich auch nicht in der Lage, selbst darin zu blättern. Im Lesesaal konnte man als Toter partizipieren, wenn die Leute die Zeitungsseiten umblätterten. Ich musste mich nur hinter den Stuhl eines Lebenden stel­ len und in seinem Rhythmus die Zeitung mitlesen. Ich hatte es immer gehasst, wenn mir jemand beim Lesen über die Schulter schaute, jetzt aber war ich gezwungen, selbst dieser schlechten Sitte zu frönen.
    Im Saal saßen etwa zwanzig Leute an den Tischen und lasen Zeitung. Ein besonderer Umstand setzte mich allerdings in Erstaunen: Hinter dem Rücken eines jeden Zeitungslesers standen eine oder mehrere andere Perso­ nen und lasen mit. Ich zählte insgesamt fast hundert Besucher. Sie alle lasen in tiefem Schweigen.
    Mir fiel auf, dass die Menschen, die hinter den am Tisch Sitzenden standen, ziemlich altmodisch angezogen waren. Ihre Kleidung schien aus den unterschiedlichs­ ten Zeiten zu
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher