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Im Himmel mit Ben: Roman (German Edition)

Im Himmel mit Ben: Roman (German Edition)

Titel: Im Himmel mit Ben: Roman (German Edition)
Autoren: Andrea Russo
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die wollte Ben auch gar nicht. Er war eher der drahtige, leicht athletische Typ, der regelmäßig lief. Auch im Studio trainierte er überwiegend Ausdauer. Mindestens einmal im Jahr lief er einen Marathon. Sein Traum war, irgendwann in New York mitlaufen zu können – und ich wollte ihn dabei anfeuern.
    Jetzt nicht wieder heulen, nehme ich mir ganz fest vor. Denk an etwas anderes, schau nach vorne. Aber das fällt mir verdammt schwer. Immer wieder schweifen meine Gedanken ab, und ich lande bei Ben.
    Als etwas Haariges meinen Arm streift, schrecke ich überrascht auf. Vor mir sitzt der dicke graue Kater.
    »Caruso?«, frage ich ungläubig und greife nach dem roten Halsband, an dem ein kleines Blechschildchen baumelt. Wir haben es damals aus einem alten Whiskyuntersetzer gebastelt, und Ben hat Carusos Namen mit einem Nagel eingestanzt, sodass sich der Schriftzug aus vielen aneinandergesetzten Löchern zusammensetzt.
    Vorsichtig fahre ich mit der Fingerkuppe über das Namensschild. Ich kann nicht glauben, was ich da gerade sehe. »Du bist es nicht wirklich, oder?«
    Ich betrachte eingehend das linke Ohr und entdecke die leicht eingerissene Ecke. Jetzt habe ich keine Zweifel mehr. Es ist tatsächlich Caruso! Als Ben ihn damals aus dem Wasser gefischt hat, sah das Ohr auch schon so aus.
    Ben rettete Caruso an einem Freitag, dem Dreizehnten, das Leben. Das war vor zehn Jahren. Es war auch der Tag, an dem ich zufällig mitbekam, wie mein Vater eine andere Frau küsste. Ich hatte Nachmittagsunterricht gehabt und war auf dem Weg nach Hause. Da sah ich, wie mein Vater auf der anderen Straßenseite vor einem Hauseingang stand. Ich wollte ihn gerade rufen, als plötzlich die Tür aufging und eine dunkelhaarige Frau auf der Bildfläche erschien. Sie lachte ihn an – und dann küssten sie sich. Ich war siebzehn Jahre alt. Wie versteinert blieb ich stehen und beobachtete die Szene. Die beiden stiegen in das Auto meines Vaters und fuhren davon. Mich bemerkten sie nicht …
    Ich lief nach Hause, legte mich ins Bett und fing hemmungslos an zu weinen. Meine Mutter arbeite, sodass ich mir erst einmal Gedanken darüber machen konnte, was ich mit meinem Wissen anstelle. Dass mein Vater was mit einer anderen Frau laufen hatte, war auf jeden Fall klar. Der Kuss war eindeutig gewesen. Was würde passieren, wenn ich meiner Mutter davon berichtete? Sollte ich es ihr vielleicht lieber verschweigen? Eine unbändige Wut auf meinen Vater machte sich in mir breit.
    Ich erzählte es ihr. Sie war nicht überrascht, sackte nur auf ihrem Stuhl zusammen und weinte. Und dann tat es ihr leid, dass ich mitbekommen hatte, was sie schon längere Zeit vermutete. Mein Vater hatte eine Geliebte. Am Abend stellte sie ihn zur Rede. Mich ließ sie dabei aus dem Spiel. Sie sagte ihm einfach nur, sie wüsste von der anderen Frau. Ich hatte meine Zimmertür einen Spalt breit aufgelassen, sodass ich alles hören konnte. Mein Vater leugnete es nicht. Er packte noch am selben Abend seine Sachen.
    Als er sich von mir verabschieden wollte, sagte ich es ihm. »Ich habe gesehen, wie du sie geküsst hast.« Mit diesen Worten ließ ich ihn stehen, ging zum Telefon und rief Ben an. Etwa zehn Minuten später stand Ben vor unserer Tür.
    Ich stehe nicht auf rotes Haar, auf Locken schon gar nicht, zumindest nicht bei Männern. Aber bei Ben gefiel es mir. Seine kupferrote Mähne stand kreuz und quer in alle Himmelsrichtungen ab und bildete einen krassen Kontrast zu seinem blassen Gesicht und den fast himmelblauen Augen.
    Als ich Ben damals in der Schule kennenlernte, war ich fünfzehn Jahre alt. Er war mit seinen Eltern von Frankfurt nach Düsseldorf gezogen und saß eines Morgens eine Reihe vor mir in unserer Klasse.
    Er trug nur schwarze Kleidung. Dadurch wirkte seine Haut mit den vielen Sommersprossen noch heller.
    »Ich bin Existenzialist«, erklärte er mir, als ich mich nach mehreren Wochen traute und ihn auf seine Klamotten ansprach. Ich hatte keine Ahnung, wovon er sprach, wollte es aber nicht zugeben. »Ach so, ich dachte schon, du würdest um jemanden trauern«, sagte ich.
    Das war das erste Mal, dass ich Ben herzhaft lachen hörte. Und es war der Beginn unserer Freundschaft. Ich bewunderte Ben, der so ganz anders als meine Freunde war. Er erzählte mir mit glänzenden Augen von Sartre, Camus und Simone de Beauvoir und dass er später einmal Drehbuchautor werden wolle. Ich hatte mir bis dahin noch nie großartige Gedanken über meine Zukunft gemacht. Aber Bens
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