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Im Herzen Rein

Im Herzen Rein

Titel: Im Herzen Rein
Autoren: Andrea Vanoni
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sehr nah. Mit acht ist er die Kellertreppe runtergefallen, beim Schlafwandeln. Es ist ihm nichts passiert, bis auf einen Leberfleck. Den hat er vorher nicht gehabt. Ein Leberfleck auf der Brust, wie bei mir. Dieselbe Form. Aber meiner war weg. Bis heute. Er ist wie ich. Er kann auch nachts nur vier Stunden schlafen. Ich hab immer gesagt, du hast zwei Tage, wo andere einen haben. Er ist immer allen voraus.«
    Beantwortete die Mutter ihre Fragen deswegen nicht, weil sie eine instinktsichere Verbindung mit ihrem Sohn hatte?
    »Wo hat er denn mit den Barbiepuppen gespielt? Sicher in einem Versteck, wenn der Vater das nicht leiden konnte.«
    »Ja, immer in seinem Kinderkeller.«
    »Hier im Keller?«, fragte Paula in harmlosen Ton.
    »Nein, da sind nur Kohlen. In der Halle da drüben. Wir haben nur Kinderkeller dazu gesagt. Ich weiß auch nicht, warum.« Sie wuchtete sich hoch und schob sich zum Fenster. »Sie können die Halle von hier sehen.«
    Hinter einer holprigen Wiese mit wild gewachsenen Büschen stand ein alter Flachbau.
    »Was ist da drin?«, fragte Paula ruhig, obwohl sie unter Hochspannung stand.
    »Sein Kinderkeller«, wiederholte die Mutter, als ob Paula nicht zugehört hätte. »Vor Jahren hat eine Firma das alles gemietet, aber die Halle steht leer. Ich weiß auch nicht, was das soll. Durch die Büsche hatte Berti seinen Geheimpfad.« Sie lachte. »Da war er sicher vor seinem Vater.«
    Die Halle stand auf einem Gewerbegrundstück, das sich vermutlich noch weiter in die andere Richtung hinstreckte.
    »Eine richtige Pampa. Sogar mit Füchsen. In der ollen Halle hat er sein Kinderparadies gehabt. Konnte ich mit meiner Fuchtel nicht hin.« Sie gluckste und schob wieder ihre Locke hinters Ohr.

63
    Kinderkeller Kinderkeller Kinderkeller, dröhnte es in Paulas Kopf, als sie durch die Wiese lief und die wild wachsenden Büsche zur Seite schob. Sie blieb an einer Bodenwurzel hängen und fiel mit dem linken Arm und dem Gesicht in die Brennnesseln. Jede Bewegung tat weh. Sie meinte, jemanden schreien zu hören. Chris? Oder war es nur ihre Einbildung in der Panik?
    Sie sprang auf, achtete nicht auf die Brennnesseln und rannte weiter. Sie versuchte, so schnell wie möglich voranzukommen, ohne Lärm zu machen. Doch die morschen Bretter auf dem Boden krachten unter ihren Füßen. Die letzten Schritte ging sie besonders vorsichtig. Zwischendurch drehte sie sich einmal kurz um - die Mutter stand am Fenster.
    Die Halle auf einem wuchtigen Betonsockel war aus rotem Backstein, die Fenster waren mit Brettern zugenagelt und mit Teer überstrichen. An dieser Seite war keine Tür zu sehen. Sie tastete die Bretter ab. Sie waren fest ineinandergefügt.
    Von drinnen klangen dumpfe, erstickte Schreie. Das musste Chris sein. Chris lebte! Paulas Herz tat einen Freudensprung, und ihr gesamter Körper spannte sich noch konzentrierter, jetzt in dem Vertrauen, dass sie es schaffen könnte, Chris zu retten.
    Paula schlich bis zum äußersten linken Fenster, um alle Bretter zu überprüfen. Es waren fünf Verschläge. Der mittlere ein zugezimmertes Hallentor, davor war eine Rampe, wie zum Be- und Entladen von Lastwagen. Auch hier war alles voller Brennnesseln und Holundergestrüpp.
    Sie betastete jedes Brett. Alle waren fest. Weiter, weiter. An der Rampe stieg sie die zugewachsenen Stufen hinauf. Sie fand ein flaches, rostiges Stück Eisen und hob es auf, um zu versuchen, damit ein Brett abzubiegen.
    An dem Holztor des alten Halleneingangs fand sie eine Querverstrebung, die sie mit dem Eisen lösen konnte. Darunter war morsches Holz. Mühsam bekam sie einen schmalen Spalt frei, durch den sie in den Innenraum sehen konnte. Sie konnte nicht jedes Geräusch vermeiden, aber die Schreie drinnen übertönten das Knirschen. Endlich war der Ausschnitt so groß, dass sie einen Teil der Halle sehen konnte. Sie blinzelte und erkannte einen Stahlschrank auf Rollen und an der Wand den Teil eines großen Monitors.
    Sie bräuchte Verstärkung. Aber die Zeit war zu knapp, Chris konnte jeden Moment getötet werden.
    Jetzt sah sie Bachs Schulter. Er bewegte sich. Er tat etwas, das Paula nicht sehen konnte, er schien sich dabei anzustrengen.
    Paula entsicherte ihre Waffe. Ein Schulterschuss wäre zu riskant, dann wäre er nur verletzt, und Chris hätte keine Chance mehr. Da war Bach wieder aus ihrem Blickfeld verschwunden. Paula hob die Waffe und konzentrierte sich auf die Sicht durch den Schlitz. Sie wartete darauf, dass er sich wieder zeigte, um auf ihn zu
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