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Im Herzen Rein

Im Herzen Rein

Titel: Im Herzen Rein
Autoren: Andrea Vanoni
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auslebte. Dort quälte er später auch seine Opfer.
    Frau Bach reagierte nicht auf Paulas Frage. »Ich weiß noch, wie er vor der Treppe ohnmächtig geworden ist. Er lag da, ohne runterzufallen. Er hat laut vor sich hin geredet. Aber das war nicht seine Stimme. Ich sag noch, pass auf, dass du nicht runterfällst. Der hat mich gar nicht gehört und weitergeredet, aber seine Stimme war anders.«
    »Oh, mein Gott. Was hat er denn gesagt?«
    »Das hätten Sie seinen Vater fragen müssen.«
    »Und wo ist der?«
    »Der ist tot.«
    Paula stutzte. Aber sie verfolgte den Kinderkeller. »War das an der Kellertreppe?«
    »Probleme mit seinem Vater hatte er nicht. Nur so Kleinigkeiten. Er hatte Berti das Baden verboten. Er hat gesagt, das warme Wasser ist zu teuer. Berti schrie seinen Vater an - man hätte meinen können, er wollte eine Tracht Prügel. Aber sein Vater hat das nie getan.«
    »Mein Bruder hat immer am liebsten im Keller gespielt, selbst wenn die Sonne draußen schien. Berti auch?«
    »Berti war etwas Besonderes. Wir mussten tagelang auf seine Geburt warten, und als er kam, war er ganz blau.«
    »Da haben Sie Angst bekommen.«
    Frau Bach nickte, krümmte die Finger ihrer rechten Hand und schob ihre Dauerwelle hinter das Ohr. »Die Ärzte haben alles mir überlassen. Bis zum vierzehnten Monat musste ich ihm täglich Einläufe machen.«
    »Wozu das?« Welch eine Tortur für ein Baby.
    »Einläufe und auch Zäpfchen.« Sie nickte. »Aber seine Probleme fingen schon vor der Geburt an. Er hat im Mutterleib gekotet, und dadurch hatte er Atembeschwerden.«
    So etwas hatte Paula noch nie gehört.
    Die Mutter erklärte: »Das nennt sich Mekoniumaspiration. Davon hatte Berti Atmungsstörungen auch nach seiner Geburt. Deswegen die Einläufe und Zäpfchen.«
    Paula schauderte. Die Mutter hatte ihr Baby mit Einläufen und Zäpfchen malträtiert, ohne Anweisung von Ärzten. Aber es war gleich 18.30 Uhr, und sie wusste immer noch nicht mehr über den Kinderkeller. »Sind Sie sicher, dass Hubertus kommt?«
    »Er hat angerufen, er ist jede Minute hier. Eigentlich kommt er samstags, und auch viel früher. Heute ist eine Ausnahme.«
    Paula sah nach, ob von Chris eine Nachricht gekommen war. Nichts. Chris hatte auf Bachs Anrufbeantworter gesprochen, aber sie wusste nicht, wann. Als Paula Chris um 17.30 Uhr angerufen hatte, war die Mailbox dran. Wahrscheinlich hatte Chris Bach erreicht, und sie hatten sich getroffen. Davon musste Paula ausgehen. Es war noch nie vorgekommen, dass Chris nicht zurückgerufen hatte.
    »Natürlich hat er geschrien wie am Spieß, wenn er seine Einläufe bekam«, fuhr Waltraud Bach fort.
    »Sie haben mir meine Frage noch nicht beantwortet, wo der kleine Berti am liebsten gespielt hat.«
    »Am liebsten hat er mit Puppen gespielt. Barbiepuppen.«
    Paula fröstelte.
    »Sein Vater konnte das gar nicht leiden. Er war streng.« Sie goss Paula wieder Kaffee ein. »Warmes Wasser, das gab es nicht. Er ging unter die eiskalte Dusche, und Berti musste das auch. Mit sauberen Händen an den Tisch, die Schuhe immer blank und Sonntag ein weißes Hemd und Schlips. Und Lernen für die Schule natürlich. Aber da hatte er Glück mit meinem Berti. Er war immer der Beste in der Schule, und ohne weißes Hemd ging es nicht, sogar in der Woche. Ich musste immerzu bügeln.«
    Paula stand unter Strom. Sie fragte jetzt direkt: »Kann ich mal Ihren Keller sehen?«
    »Da sind nur Kohlen. Seit ich Heizung habe, war ich nicht mehr im Keller. Die hat mein Mann während meiner Schwangerschaft eingebaut. Er war geschickt. Er ist dann am Gehirntumor gestorben. Letzten Endes an den Verwundungen. Die Ärzte wollten ihn wegen seiner Kriegsverletzungen nicht operieren. Er hatte dauernd Kopfschmerzen. Da ging es ihm mal besser und mal schlechter, dann war er gewalttätig. Dann ist er ins Krankenhaus gekommen, total gelähmt. Kurz bevor er gestorben ist, hat er gesagt, pass auf den Hubertus auf, der ist mir unheimlich.« Sie lachte. »So verrückt war er zum Schluss.«
    Paula stand auf, um selbst nach dem Keller zu sehen. Sie fragte noch einmal nach den Einläufen und Zäpfchen, mit denen die Mutter Hubertus als Baby behandelt hatte.
    »Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen. So was habe ich nicht gesagt.« Sie schnaufte. »Bei der Geburt ist der andere Zwilling gestorben. Ein Mädchen, das hätte mir besser gepasst. Aber Berti war ein guter Sohn, dafür habe ich schon gesorgt.« Sie trank einen Schluck aus ihrer schmuddeligen Tasse. »Wir stehen uns
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