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Im Herzen Rein

Im Herzen Rein

Titel: Im Herzen Rein
Autoren: Andrea Vanoni
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den Haägen-Dazs-Laden direkt neben dem Kino. »Ein Eis?« Dabei betrachtete er ihren Mund.
    »Gute Idee«, sagte sie, »Schokoladeneis mit Streuseln und eine Kugel Zitroneneis dazu - süß und sauer.«
    Er brachte Waffeltüten mit Schoko und Zitrone, für sich dasselbe. Er machte sich nichts aus Eis. Er schaute ihr zu, wie sie das Eis schleckte, dabei plauderte sie. Sie war Bibliothekarin, hatte aber hier in Berlin keine Stellung gefunden und arbeitete in einer Firma zum Einscannen von Dokumenten. Abends ging sie gern ins Kino. Heute war sie schon um sechs gegangen, weil sie um neun noch zu einer Lesung wollte. Sie schwärmte von dem brasilianischen Autor, Paolo Gonzalez, der heute aus seinem neuen Bestseller las: Geschichten des Windes .
    Er tat überrascht: »Ich habe auch schon überlegt, ob ich da hingehe.«
    Es klappte. Sie biss an. »Ihnen hat der Film gefallen, da werden Sie die Geschichten von Gonzalez mögen. Kommen Sie doch mit.«
    Sie hatte ihn aufgefordert, alles lief wie am Schnürchen. Er spürte, dass ihm heute alles gelingen würde. Er hatte die richtige Taktik.
    Sie wollte zur U-Bahn gehen, er sagte, sein Auto stehe gleich um die Ecke.
    »Dann nehmen wir Ihr Auto«, schlug sie vor.
    Heute ist mein Tag, dachte er, als er aus der engen Parklücke fuhr, um ihr danach die Tür von innen zu öffnen, damit sie einsteigen konnte.
    Vor der Ampel betätigte er die Zentralverriegelung, ohne dass sie es merkte.
    Sie fuhren rechts in die Budapester Straße und dann in der Hofjägerallee auf die Siegessäule zu. Sie erzählte von ihrer langweiligen Arbeit und von einer Kollegin, die ständig Schokolade aß, obwohl sie abnehmen wollte.
    Als er an der Siegessäule falsch abbog, war sie irritiert.
    Sie versuchte, ihn zum Anhalten zu bringen. Dann schlug sie gegen die Scheibe und schrie. Er reagierte auch nicht, als sie weinte.
    Er fuhr auf ein Gewerbegebiet, öffnete mit der Fernbedienung das Garagentor der Lagerhalle und fuhr hinein.
    Mit einer Pistole zwang er sie, auszusteigen und durch die Stahltür in sein Atelier zu gehen. Mit der Geste eines charmanten Gastgebers zeigte er auf die Kücheneinrichtung an der Wand, die Badewanne und das große Bett mit den Arm- und Beinfesseln. »Sie sehen, es ist alles für ein komfortables Leben vorhanden.«
     
     
    Er deutete auf einen der sechs Monitore, die überall im Raum verteilt waren. Auf den Bildschirmen war ein Käfig mit einer Pritsche zu sehen.
    »Was ist das?«, fragte sie panisch.
    »Eine Stätte der Andacht. Eine Kapelle. Für die Zeit, in der ich außer Haus bin.« Er lächelte, während er ein Exemplar von Paolo Gonzalez’ Geschichten des Windes aus dem Küchenschrank nahm und es ihr zuwarf. »Als Ersatz für die Lesung. Und ich kann Ihnen versichern, Sie verpassen nichts. Vorlesen kann er nicht.« Er rollte den Schrank aus Edelstahl zur Seite, öffnete die Eisenklappe im Boden, die vorher verdeckt gewesen war, und reichte ihr die Hand, damit sie vor ihm die Treppe hinunterging. »In diesem Luftschutzbunker ist im Krieg das MG 41 zusammengesetzt worden.«
    Der Käfig mit der Pritsche, der auf dem Bildschirm zu sehen war, befand sich ganz hinten in dem Kellergewölbe. Die Tür stand offen. Aus der Truhe neben der Treppe nahm er Decken und gab sie ihr. »Die Liege ist etwas hart.«
    Sie räusperte sich, schluckte und musste zweimal ansetzen, bevor es ihr gelang, die Worte auszusprechen. »Könnten Sie die bitte auflassen?« Sie deutete auf die Käfigtür.
    Er überlegte kurz und stimmte zu.
    Sie zögerte, den Käfig zu betreten. »Ich muss morgen wieder zur Arbeit.«
    Er nickte. »Morgen früh werden Sie wieder draußen sein.« Auf dem Weg zur Treppe drehte er sich noch einmal um. »Ich werde nicht lange wegbleiben.«

1
    »Dein erster Mordfall«, sagte sie stolz lächelnd zu ihrem Spiegelbild, während sie versuchte, ihre blonden Locken zu bändigen. Jeden Morgen standen sie ihr so wild vom Kopf ab, dass sie wie der Puppenteufel aussah, ohne den sie als Kind nicht ins Bett gegangen war. Ihr Haar war so kräftig und dick, dass ihre Mutter immer gesagt hatte, du hast richtiges Pferdehaar. Sie trug es im Nacken gestuft, manchmal mit Scheitel, wie ihre Brüder früher, aber heute kämmte sie es glatt nach hinten. Neuer Job, neue Strenge. Natürlich stellte es sich wieder auf, wenn es getrocknet war, da half dann Gel. Die Augenbrauen hatte sie gestern Abend noch gezupft. An den Wimpern musste sie nie viel machen, sie waren dicht und lang, und sie wurde
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