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Im Herzen der Feuersonne

Im Herzen der Feuersonne

Titel: Im Herzen der Feuersonne
Autoren: Elfie Ligensa
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was ihm gefiel.
    Bens Augen brannten. Er spürte kaum, dass ihm die
Tränen übers Gesicht liefen, als er sich umdrehte und zum Haus
hinüberrannte.
    Dort packte er mit fliegenden Fingern seine
spärliche Habe zusammen, nur beobachtet von Miez, der alten grauen Katze, die er
einst großgezogen hatte, nachdem ihre Mutter von einem Fuchs gerissen worden
war.
    Â»Es muss sein, Miez«, sagte er verzweifelt und
strich der Katze über das struppige Fell. »Hier kann ich nicht bleiben.«
    Miez schnurrte nur. Sie verstand nicht, was er
fühlte – dass für ihn gerade eine Welt zusammengebrochen war. Vor Tagesanbruch
würde er sich aufmachen, um ein neues Leben zu finden.
    In jener Nacht hatte er kein Auge zugetan, er
wälzte sich im Bett hin und her und grübelte darüber nach, wohin er sich wenden
könnte und wie sein weiteres Leben verlaufen würde, wenn er die Heimat verließ,
als ihm plötzlich ein Gedanke kam. Schließlich stand er auf und schlich auf
nackten Sohlen hinunter ins Erdgeschoss. Behutsam, um niemanden zu wecken,
öffnete er die Tür zur guten Stube. In diesen Raum kam die Familie nur an
Feiertagen. Es gab einen ledernen Sessel, einen gedrechselten Tisch, auf dem
eine Decke lag, die die Mutter selbst genäht und bestickt hatte, eine
Eichenkommode mit Messingknäufen und ein Sofa mit einem bunten Flickenteppich
davor.
    Vorsichtig zog Ben die oberen beiden Schubladen
der alten Kommode auf. Wo war nur die kleine Holzkiste mit den Briefen und den
beiden Urkunden des Großvaters? Sein Herzschlag ging rasch, denn er hatte Sorge,
dass jemand ihn entdecken und von seinem Vorhaben abhalten könnte.
    Wenig später schon hatte er die Kiste gefunden.
Ganz unten in der Kommode lag sie. Fast vergessen. Niemand sprach mehr vom
Großvater, der vor etlichen Jahren als todkranker Mann aus dem fernen Afrika
zurückgekehrt war, um in der Heimat zu sterben. Er hatte in einer kleinen Kammer
über dem Hühnerstall gelebt, die Mutter hatte ihm das Essen gebracht und sich um
ihn gekümmert, so gut sie es eben vermochte. Auch Ben hatte sich oft zu dem
alten Mann hinübergeschlichen und mit glühenden Wangen zugehört, wenn der
Großvater von Afrika erzählt hatte. Von den wilden Tieren, die in der Savanne
lebten, von der Landschaft, die unendlich weit sein musste, von fremdartigen
Gewächsen und Bäumen, vom tobenden Meer und vom Wind, der für Rebstöcke
gefährlich werden konnte.
    Vieles hatte Ben vergessen, aber da waren ja noch
die Briefe, die der Großvater aus dem fernen Land geschrieben hatte. Und so war
es beschlossene Sache: Er würde aus dem Rheingau weggehen und auf dem fremden,
unbekannten Kontinent neu anfangen. Vielleicht gelang ihm, Ben, sogar das, was
dem Großvater verwehrt geblieben war, und er konnte sich etwas aufbauen, konnte
ein wohlhabender Mann werden. Mit dem Landbesitz, den die Urkunden seines
Vorfahren verhießen, ließ sich das vielleicht bewerkstelligen. Und da er stets
der Einzige gewesen war, der dem alten Mann aufmerksam gelauscht und ihm Glauben
geschenkt hatte, hatte er nicht das Gefühl, etwas Unrechtes zu tun, als er die
Papiere nun an sich nahm.
    Wenige Stunden später, nur die Mutter war schon
auf, verließ Ben sein Elternhaus, in dem er nie wieder glücklich werden konnte.
Das wusste er ganz genau nach der Enttäuschung, die Katrin und Peter ihm
bereitet hatten.
    Die Mutter, die er ein letztes Mal umarmte,
wollte ihn nicht gehen lassen, aber er küsste sie innig, strich ihr über das
dunkle Haar, in das sich schon viele graue Fäden mischten, murmelte ein »Behüt
dich Gott« – und ging hinaus in die Dunkelheit. Im Osten dämmerte mit fahlem Rot
der neue Tag herauf.
    Als die Mutter ihm nachlief, das alte Wolltuch
fest um sich geschlungen, und fragte, warum er sich denn davonschleiche wie ein
Dieb, sagte er nur mit brüchiger Stimme: »Frag den Peter.«
    Â»Aber der Vater … er wird es nicht verstehen.«
Josefa Ruhland, vor der Zeit gealtert, mit müden Augen und mit viel zu früh welk
gewordener Haut, rang die Hände. »Was soll ich ihm denn sagen?«
    Â»Ich lass ihn grüßen.« Ben schloss die Hand um
sein Bündel so fest, dass die Fingerknöchel weiß hervortraten. »Du weißt doch,
dass ich nie wirklich gezählt hab für ihn. Er hat immer nur den Peter gesehen,
den Gutserben, den Namensträger.« Er konnte nicht
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