Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Gewand der Nacht

Im Gewand der Nacht

Titel: Im Gewand der Nacht
Autoren: Barbara Nadel
Vom Netzwerk:
eigentlichen Grund seines Besuchs zu sprechen.
    »Wie macht sich eigentlich meine Tochter?«, fragte er. »Und ihre Freundin Hatice?«
    »Sehr gut.« Hassan räusperte sich mit einem seltsamen, fast femininen Hüsteln. »Die Mädchen sind wirklich nett. Und die Kunden mögen sie.«
    »Irgendwelche bestimmten Kunden?«, erkundigte İkmen sich.
    Das Gesicht des Konditors nahm plötzlich einen ernsten Ausdruck an. »Sie meinen junge Männer, Inspektor?«
    »Unter anderem.«
    Hassan lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und reckte sein Gesicht der warmen Morgensonne entgegen. »Nun ja, die Mädchen sind jung und hübsch«, sagte er, »und natürlich versuchen manche Männer, sie in ein Gespräch zu verwickeln. Aber ich kann Ihnen versichern, Inspektor, dass es sich um nichts Ernsthaftes handelt. Ich habe ein Auge auf mein Personal, vor allem auf die Frauen.«
    »Selbstverständlich.«
    »Und abgesehen davon: Soweit ich weiß, ist der einzige Mann, für den die beiden sich interessieren, der alte Ahmet Sılay.«
    »Gab es nicht einen Schauspieler dieses Namens? Vor vielen Jahren?« İkmen zog eine Augenbraue hoch.
    »Genau der ist es.« Hassan trank einen Schluck Kaffee, bevor er fortfuhr: »Er gehört zu unseren Stammkunden, ist aber mindestens sechzig Jahre alt. Er muss etwa im gleichen Alter sein wie Hikmet Sivas, von dem er immer wieder in allen Einzelheiten erzählt. Was Hülya und Hatice betrifft, so glaube ich nicht, dass es irgendetwas gibt, worüber Sie sich Sorgen machen müssten. Die beiden schwärmen nur für Filmstars.« Er lächelte. »Nicht für Ahmet – verstehen Sie mich nicht falsch –, sondern für Sivas.«
    »Unseren türkischen Bruder in Hollywood«, meinte İkmen.
    »Unseren einzigen türkischen Bruder in Hollywood«, berichtigte Hassan. »Obwohl er seinen Zenit längst überschritten hat, meinen Sie nicht auch?«
    İkmen zuckte die Achseln. Er interessierte sich nicht für Filme. Zwar erinnerte er sich, dass Hikmet Sivas während der sechziger Jahre in einer ganzen Reihe von Hollywoodfilmen mitgespielt hatte, doch darüber hinaus wusste er so gut wie nichts über den Mann.
    »Und war Sılay gestern Abend hier?«, fragte er.
    »Ja.« Hassan runzelte die Stirn. »Warum?«
    İkmen wollte keine schlafenden Hunde wecken, zumal die Möglichkeit bestand, dass Hatice İpek jeden Augenblick in der Pastahane auftauchte.
    »Oh, es geht nur darum, dass Hülya ständig davon spricht, dass sie Schauspielerin werden möchte«, sagte er. Letztlich entsprach das ja auch der Wahrheit.
    Hassan lächelte. »Ach so. Nun, wahrscheinlich hat Ahmet sie auf diese Idee gebracht. Seine Geschichten über Theatertourneen durch die Türkei und andere Länder, die er in den fünfziger Jahren unternahm, sind wirklich äußerst interessant – und hinzu kommt noch seine Bekanntschaft mit Sivas.«
    »Sılay steht noch immer in Kontakt mit Sivas?«
    »Offensichtlich hat er ihn einmal in Los Angeles besucht«, erwiderte Hassan. »Und ich habe keinen Grund, an seinen Schilderungen zu zweifeln.«
    »Ich verstehe.«
    »Aber wenn Sie möchten, dass ich mit ihm spreche, weil er den Mädchen Flausen in den Kopf setzt, kann ich das gern tun«, bot Hassan an. Dann erhob er sich, um wieder an seine Arbeit zu gehen. »Schließlich wollen wir Hülya und Hatice nicht an die zwielichtige Welt der Unterhaltung verlieren, stimmt’s?«
    İkmen lächelte. »Da haben Sie Recht. Aber nach dem, was Sie sagen, scheint Sılay wirklich harmlos zu sein. Und ich sehe auch nichts Schlechtes darin, dass die Mädchen sich gerne seine Erzählungen anhören.«
    »Das überlasse ich ganz Ihnen, Inspektor«, sagte der junge Mann und verabschiedete sich mit einer kurzen Verbeugung.
    İkmen aß die restlichen Profiteroles und schaute erneut aus dem Fenster. Natürlich gab es immer für alles einen Grund, und es war interessant, den Ursprung von Hülyas schauspielerischen Ambitionen zu kennen. Wenn also – wie Hassan anzunehmen schien – die beiden Mädchen von einer Karriere in der Unterhaltungsbranche träumten, hatte Hatice sich vielleicht aufgemacht, um ihr Glück bei einigen der Film- und Theateragenten im Stadtteil Beyoğlu zu versuchen. Womöglich war das der Grund dafür, dass Hülya sich in Bezug auf ihre Freundin so zurückhaltend geäußert hatte. Doch warum hätte Hatice die Agenten mitten in der Nacht aufsuchen sollen?
2
    Inspektor Mehmet Süleyman wollte gerade zur Arbeit fahren, als ein markerschütternder Schrei aus dem oberen Stockwerk seines
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher