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Im Gewand der Nacht

Im Gewand der Nacht

Titel: Im Gewand der Nacht
Autoren: Barbara Nadel
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zu. »Ich habe den Glauben noch nicht verloren.«
    »Inschallah – wenn wir erst gefunden haben, was wir suchen, kann ich alles bezahlen, was in dem Buch steht, und noch viel mehr.«
    Selim schüttete die Oliven aus der Waagschale in eine Plastiktüte und knotete sie zu. »Adnan glaubte fest daran, dass der Schatz existiert – auch wenn er mir nie gesagt hat, wo er sich befinden könnte –, und das genügt mir. Sie sind eine gute Frau, Neşe Hanım, Sie erhalten die Träume Ihres Mannes am Leben.«
    Neşe Fahri streckte den Arm aus und nahm die Tüte mit den Oliven aus Selims Händen entgegen.
    »Habe ich eine andere Wahl? Mein Sohn soll eine gute Ausbildung erhalten. Wie sonst könnte ich sie ihm ermöglichen – ich, eine arme Witwe in dieser Stadt der Diebe?«
    Selim kam hinter der Theke hervor und griff nach etwas, das hinter einem großen Sack Reis stand. Als sie die glänzende, neue Schaufel in seinen Händen erblickte, begannen Neşes Augen zu leuchten.
    »Sie sieht sehr stabil aus«, sagte sie.
    »Das ist sie auch«, erwiderte Selim, stieß das Schaufelblatt einmal kurz auf den Boden und gab sie ihr. Mit feierlichem Blick nickte ihm Neşe anerkennend zu, dann wandte sich die große, hagere Frau zur Ladentür.
    »Möge es gelingen«, sagte Selim und sah Neşe nach, die auf die glühend heiße Straße hinaustrat. Vom nahen Marmarameer hallte der klagende Ton einer Schiffssirene durch die engen Gassen des heruntergekommenen Kumkapı-Viertels.
     
    Die Pastahane lag in unmittelbarer Nähe des Ortes, an dem İkmen für gewöhnlich sein Auto parkte. Und nachdem er von Hülya auf seine Fragen nach Hatice İpek nichts als mürrische, abwehrende Antworten erhalten hatte, erschien es ihm angeraten herauszufinden, ob der Arbeitgeber der beiden Mädchen, den er recht gut kannte, ein wenig Licht in die Angelegenheit bringen konnte. Abgesehen davon hegte İkmen, der ansonsten kaum einer Speise etwas abgewinnen konnte, eine wahre Leidenschaft für Schokolade.
    Als er die Pastahane durch den eleganten Jugendstileingang betrat, ließ İkmen seinen Blick über die sahnigen und zuckrigen Köstlichkeiten wandern, die die gläserne Konditoreivitrine zu seiner Linken füllten. Eine reiche Auswahl herrlicher Torten, Profiteroles und Croissants, die vor flüssiger Schokolade nur so trieften, wetteiferte mit den lokalen Köstlichkeiten – Baklava mit reichlich Sirup, dicken Reispuddings und Aşure, einem klebrig-süßen, kalorienreichen Dessert aus Früchten und Nüssen – um die Gunst der Kunden. İkmens hagerer Körper hätte durchaus ein wenig mehr Masse vertragen können, und da seine Frau Hunderte von Kilometern entfernt war, bestellte er sich statt eines Frühstücks einen Cappuccino und einen Teller Profiteroles. Anschließend setzte er sich an einen Tisch, steckte sich eine Zigarette an und wartete auf seine Bestellung. Von der Straße aus begrüßte ihn der lockenköpfige Ali – einer der Kellner, der wegen seiner großen Ähnlichkeit mit dem Fußballspieler auch Maradona genannt wurde – mit einem fröhlichen Nicken.
    Nach einer Weile brachte ihm Hassan Şeker, der Eigentümer der Pastahane, seinen Kaffee und die Profiteroles. Hassan war ein großer, schlanker Mann Anfang dreißig, der das Geschäft im vergangenen Jahr von seinem Vater, dem berühmten Patissier Kemal Şeker, übernommen hatte. Mit einer kleinen Verbeugung stellte Hassan das Feingebäck vor İkmen hin, reich te ihm dann die Hand und erkundigte sich nach seinem Befinden. İkmen forderte ihn mit einer Handbewegung auf, sich zu ihm zu setzen.
    »Wir haben nicht oft das Vergnügen, Sie bei uns begrüßen zu dürfen, Inspektor«, sagte der junge Mann, nachdem er der Frau hinter der Theke zugerufen hatte, sie solle ihm eine Tasse Nescafé bringen.
    »Das stimmt«, meinte İkmen entschuldigend. »Doch im Augenblick ist meine Frau bei ihrem Bruder in Antalya zu Besuch. Und ein Mann muss schließlich essen …«
    »Ah.« Hassan lächelte.
    »Dabei ist es keineswegs so, dass ich nicht gern hierher komme«, fuhr İkmen fort und schob sich ein großes Stück Profiterole in den Mund. »Sie und Ihr Vater sind für mich seit jeher die Picassos der Schokoladen und Torten, Hassan. Es ist wirklich eine Kunst, die ich ebenso hoch schätze wie die Malerei und die Bildhauerei.«
    »Vielen Dank, Inspektor.«
    »Keine Ursache.«
    İkmen aß schweigend weiter und schloss von Zeit zu Zeit genießerisch die Augen. Kurz nachdem Hassans Nescafé eingetroffen war, kam er auf den
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