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Im Fadenkreuz der Angst

Im Fadenkreuz der Angst

Titel: Im Fadenkreuz der Angst
Autoren: dtv
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Rühreier mit Toast. Als wäre gestern Abend gar nichts passiert.
    »Mom«, sage ich. »Wegen dem Streit   … also, ich meine, wegen dem Ausflug   …«
    Sie hebt die Hand. »Was geschehen ist, ist geschehen.«
    »Vielleicht sollte ich lieber hierbleiben.«
    »Sei nicht albern.« Entschlossen trinkt sie einen Schluck Kaffee. »Dir wurde ein Ausflug versprochen und jetzt bekommst du einen. Im Ferienhaus bist du mit deinen Freunden zusammen, das ist doch schön. Und die Johnsons sind verantwortungsbewusste Eltern, die gut auf dich achtgeben werden, maschallah.«
    Ich spieße einen Happen Ei auf meine Gabel. »Und was sagen wir Dad?«
    Ein bedächtiger Schluck. »Wie bitte?«
    »Du weißt, was ich meine. Wegen dem Wochenende im Ferienhaus.«
    »Warum sollen wir das erwähnen?«, sagt Mom bedacht. Sie streicht sich Himbeermarmelade auf ihren Toast. »Sagst du es deinem Vater jedes Mal, wenn du dir die Nase putzt?«
    »Das ist was anderes.«
    Mom beißt in den Toast, als hätte ich nichts gesagt.
    »Er kriegt es raus, Mom.«
    »Wie denn? Nur, wenn du es ihm sagst.«
    »Ich weiß nicht. Aber wenn doch? Wenn wir es ihm verschweigen, wird es nur noch schlimmer.«
    Mom kaut langsam, angelt ab und zu mit der Zunge nach hängen gebliebenen Himbeerkernen, tupft sich die Lippen mit der Serviette ab. Dann streicht sie mir übers Haar. »Sami«, sagt sie, »gestern Abend habe ich vorschnell und zornig reagiert. Das war falsch. Aber sollen wir deswegen ein Streichholz in trockenes Stroh werfen? Wenn dein Vater von deinem Wochenendausflug erfahren sollte, dann nehme ich das auf meine Kappe. Aber bis dahin lassen wir ihn unbehelligt. Einverstanden?«
    Ich nicke, aber überzeugt bin ich nicht.
    Wir räumen den Tisch ab und machen uns fertig. An die Schuluniform würde ich mich gewöhnen, hatte Dad gesagt, an das marineblaue Jackett mit dem Schulwappen auf der Brusttasche, an die graue Flanellhose mit Bügelfalte, den roten Schlips. Niemals! Die Jacke ist steif, die Hosen kratzen und den Schlips benutzen die Sporthengste unserer Schule, um mich zu würgen, wenn sie ihren Spaß haben wollen.
    Ich bringe meine Tasche und meinen Rucksack zu Moms Auto. In der Tasche stecken die Sachen fürs Wochenende, im Rucksack ist mein Schulkram. Weil das ganze Zeug nicht aufs Fahrrad passt, will Mom mich zur Schule fahren. Sie braucht morgens nie lange, aber heute dauert es. Wenn sie sich nicht ranhält, kommen wir zu spät und der Konrektor kriegt mich am Arsch. Und verdonnert mich zum Nachsitzen.
    Ich gucke auf die Uhr. Ist schon ein eigenartiges Gefühl, wieder darauf zu warten, dass Mom mich mit dem Auto zur Schule fährt, so wie früher, als ich klein war. Aber noch eigenartiger ist es, als Mom aus dem Haus kommt.
    Sie trägt ihr Kopftuch! Ihren grünen seidenen Hidschab! Den setzt sie nur in der Moschee auf, niemals auf der Straße. Warum also jetzt? Ich muss nicht fragen. Es hat was mit Dad und gestern Abend und dem Wochenende zu tun. Als wir losfahren, mache ich mich ganz klein auf meinem Sitz.
    Mom kann meine Gedanken genauso lesen wie ich ihre. »Sami, das ist bloß ein Tuch.«
    »Sag das den Jungs. Die verstehen nichts von Kopfbedeckungen.«
    »Klar«, sagt sie, »die mit ihren Basecaps und Hoodies!«
    Wir biegen auf den Oxford Drive. Fahren an der Meadowvale Plaza vorbei, an der Baustelle, am Einkaufszentrum, biegen links in die Valley Park Road.
    Ich sehe den Hügel mit unserer Schule obendrauf.
Allah, Gott, bitte mach, dass ich auf der Stelle tot umfalle.
    »Bitte, Mom. Nimm das Tuch ab, wenn wir vor der Schule sind.«
    »Das kann ich nicht, Sami«, sagt sie. »Heute nicht.«
    »Dann lass mich hier raus. Ich gehe den Rest zu Fuß.«
    »Was?«
    »Im Ernst, Mom. Die hacken so schon genug auf mir rum. Du hast ja keine Ahnung.«
    »Ach ja?«
    Aber sie hält an. Schaltet den Warnblinker an. Guckt starr geradeaus, während ich meine Sachen vom Rücksitz hole. Als wäre ich ein Mörder mit einer Axt in der Hand.
    »Mom«, sage ich. »Ich kann nichts dafür, dass du ein schlechtes Gewissen hast.«
    »Und ich kann nichts dafür, dass du dich schämst, der zu sein, der du bist.«
    »Du klingst wie Dad.«
    »Und wenn?«
    Hinter uns stauen sich Autos. Jemand hupt.
    »Wir halten den Verkehr auf«, sagt Mom. Sie bemüht sich zu lächeln. »Ich wünsch dir ein schönes Wochenende.« Und sie fährt los.
    Ich gehe zum Haupteingang des Schulgeländes und dann den Roosevelt-Weg hoch zur Schule. Früher mag das ja mal ein Weg gewesen sein. Jetzt aber ist
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