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Im Fadenkreuz der Angst

Im Fadenkreuz der Angst

Titel: Im Fadenkreuz der Angst
Autoren: dtv
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keine Kameras vor der Nase haben möchte.
    Als Dad kommt, ist es in unserer Straße total still. Mom und ich stehen am Erkerfenster, wir wollen möglichstjedes Aufsehen vermeiden. Dad steigt aus dem Auto. Mr Bhanjee wartet vor dem Haus, bis Dad an der Tür ist, dann lässt er uns alleine.
    Dad bewegt sich steif, als wäre er gefroren und bei der kleinsten Bewegung würden Knochen knacken. Er schließt die Tür hinter sich.
    Im Nu ist Mom bei ihm. Sie nimmt ihn in die Arme und streicht ihm übers Haar. Sie schaukeln miteinander hin und her und flüstern ihre Namen.
    Schließlich tritt Mom zur Seite. »Dein Sohn«, sagt sie.
    Dad steht da wie verloren.
    Ich machte einen Schritt auf ihn zu.
    Er hebt die Hände, um mich zu umarmen, dann blickt er beschämt zur Seite. »Ich wollte dir das nicht antun«, sagt er.
    »Ich weiß, Dad.«
    »Ich wollte nie, dass deine Mutter und du es erfahren.«
    »Ich weiß.«
    Seine Stimme bricht. »Ich wollte ein guter Vater sein. Ein perfekter Vater. Ich wollte dich davor bewahren, dieselben Fehler zu machen wie ich. Das war falsch. Vergib mir.«
    »Dad«, sage ich. »Du bist mein Vater. Mehr brauche ich nicht. Dad.«
    Und ich trete auf ihn zu, schlinge meine Arme um ihn.
    »Sami. Mein Sohn. Mein Sami.«
     
    Ich verlasse das Haus nur, um zur Schule zu gehen. Dad hat einen langen Urlaub genommen, bevor er zurück zur Arbeit geht, und ich möchte da sein, fallser mich braucht. Am Tag geht’s ihm meistens ganz gut, aber in der Nacht nicht. Ich lasse meine Tür auf, sodass ich hören kann, wenn er einen Albtraum hatte und aufsteht. Dann gehe ich in die Küche und setze mich zu ihm, während er seine warme Milch mit Sirup trinkt. Er hat im Gefängnis üble Sachen erlebt. Auch die Reaktion von früheren Freunden macht ihm zu schaffen.
    »Wir stehen das durch«, sagt er, als wäre ich ein Freund und nicht nur sein Sohn. »Als wir hierherzogen, haben die Nachbarn uns abgelehnt. Das ging vorbei. Jetzt ist es wieder da. Aber nicht für ewig. Wir sind die Sabiris. Wir laufen nicht weg.«
    Ich bin froh, dass Dad mein Vater ist. Er ist tapfer. Alles in allem haben wir Glück gehabt. Die sogenannte Bruderschaft hat es schlimmer erwischt. Es dauert mehr als ein Jahr, bis sie einen Prozess bekommen. Am Ende bleibt von der Terrorismus-Anklage nichts mehr übrig, aber die Videobilder reichen als Beweise für kleinere Delikte, zum Beispiel illegalen Gebrauch von Schusswaffen und das Äußern von Todesdrohungen. Diejenigen, deren Studentenvisa abgelaufen waren, werden abgeschoben, diejenigen, die als Einwanderer anerkannt waren, bekommen den Status aberkannt, die anderen werden zu Gefängnisstrafen verurteilt.
    Tariq ist noch schlechter dran. Nachdem er sich gestellt hat, ist er nicht nur wegen der kleineren Delikte verurteilt worden, sondern auch wegen Irreführung der Öffentlichkeit und wegen Behinderung polizeilicher Ermittlungen; er bekommt zusätzlich sechs Monate. Seine Freundin und ein Freund werden wegenBeihilfe zur Flucht verurteilt, sie bekommen ein Jahr auf Bewährung.
    Am unheimlichsten ist das, was mit Erim Malik passiert. Nichts. Überhaupt gar nichts.
    Die Staatsanwaltschaft hält sich an ihre Abmachungen, weil sie befürchtet, die Informanten könnten aufhören zu reden. Also bleibt Malik unbehelligt, obwohl er ganz offensichtlich eine Bedrohung der öffentlichen Sicherheit darstellt. Er wird beobachtet werden, aber wie lange? Und natürlich wird der Copyshop seines Onkels geschlossen, aber wer weiß, was mit all den falschen Pässen geschieht, die er bis dahin vertickt hat? Manche wurden vielleicht von harmlosen Illegalen gekauft, von Kindermädchen oder Schwarzarbeitern. Aber die anderen? Schon bei dem Gedanken kriege ich Gänsehaut.
    Zurück zu Tariq. Wir haben ihn im Gefängnis besucht, auch Mom. Ich habe gedacht, es würde schwierig werden, aber Moms Herz ist riesengroß. »Du bist also mein Stiefsohn«, sagt sie lächelnd. Und es war, als hätte er schon immer zu unserer Familie gehört.
    Tariq wird nie in unserer Nähe wohnen können. Mit seinen Vorstrafen werden sie ihn nicht mal in unser Land lassen. Aber trotzdem, ich finde es schön, dass ich einen älteren Bruder habe. Ich bin froh, dass wir uns kennengelernt haben.
    Ich träume von dem Tag, an dem sie ihn freilassen.
    Ich stelle mir vor, dass Dad, Mom und ich ein Ferienhaus in der Nähe von Toronto mieten. Wir laden Tariq ein. Ich stelle mir vor, wie wir gemeinsam grillen und chillen und Dad zum Schwimmen in den Seelocken. Ich
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