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Im Dutzend vielfältiger

Im Dutzend vielfältiger

Titel: Im Dutzend vielfältiger
Autoren: Nicole Rensmann
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Männer, die ihm aufgelauert, ihn mit Stöcken und Steinen beworfen hatten und nun jagten wie ein Kaninchen, das sie zum Abendessen verspeisen wollten.
    Der Umschlag in seinem Felleisen, den er zum Geschmeidler Heinrich bringen musste, wog schwer und Josef wusste, dass die Wegelagerer es auf dessen Inhalt abgesehen hatten.
    Meist brachte er Gold und Schmuck einher oder Bares, oft nur ein wichtiges Schreiben, das er von einem Ort in den nächsten trug – schnell, aber noch nie so schnell wie er nun vor den Männern wegrannte. Er hatte Angst. Würden sie ihn verschonen, wenn er ihnen den Umschlag freiwillig gab?
    Über seinem Kopf hörte er das vertraute Rufen seiner Freunde. Tschack-tschack-tschack.
    Aber die Krammetsvögel hatten ihn zu spät gewarnt.
    Hätte er sich früher von Lena losgerissen, dann wären ihm die Männer vielleicht nie begegnet. Doch es fiel ihm jeden Tag schwerer Lena zu verlassen, ihr Bauch, in dem ihr gemeinsames Kind heranwuchs, wölbte sich zusehends – auch wenn er nur einen oder zwei Tage unterwegs gewesen war, glaubte er eine Veränderung auszumachen. Und er fürchtete, bei der Geburt nicht da zu sein.
    Josef musste seine Botengänge erledigen, er brauchte den Lohn, um Lena und sich selbst zu ernähren – und bald auch ihr Kind. Oft erhielt er ein Stück Dörrfleisch, einen Laib Brot, einen Korb voll Beeren oder einen Taler. Wenn der Weg besonders lang gewesen war, durfte er auch einen Teller Kohlsuppe mit den Familien am Tisch essen. Doch er aß immer nur die Hälfte und verwahrte den Rest für Lena in einem kleinen Gefäß in seiner Brottasche auf. Sie hatten nicht viel und teilten sich alles, und sei es noch so wenig. Nur Krammetsvögel nahm er nie an.
    Schon als Junge war er durch die Wälder gestrolcht und hatte die Vögel beobachtet, und die bunt gefiederten Drosseln, die als Hauptnahrung in den Dörfern galten, waren ihm die liebsten. Ihre Laute spendeten ihm Trost, stundenlang konnte er ihnen zuhören. Obwohl das tschack-tschack-tschack für jeden Anderen gleich klang, hörte Josef mit der Zeit den Unterschied zwischen fröhlichem, ängstlichem und warnendem Gesang heraus. Und so wie er mit Lena die Mahlzeiten teilte, gab er auch ihnen von seinem Brot oder den Beeren ab. Auch nur einen der Vögel zu verspeisen, wäre ihm wie Verrat an seinen Freunden und an Lena vorgekommen. Denn Schwanz und Flügel hatten dieselbe schwarzblaue Farbe wie Lenas Haare, und ähnlich der Krammetsvögel schwarz-weiß gescheckten Bäuche, durchzogen weiß-blonde Strähnen Lenas Haar, die in der Sonne so stark glänzten, dass er glaubte, sie hätten das Blätterwerk des Waldes durchbrochen, als er sie das erste Mal sah. Natürlich war es nur die Kette gewesen, die sie um den Hals trug und von der die Sonnenstrahlen reflektiert wurden. Aber für einen verliebten Burschen, und er hatte sich auf der Stelle in sie verliebt, war die Wahrheit nicht romantisch genug.
     
    Er könnte zu ihr laufen, jetzt, sich dort in Sicherheit wiegen. Doch dann wäre er nie mehr in der Lage von zuhause wegzugehen, denn er wüsste, dass sein ihm Liebstes in ständiger Gefahr schwebe, sobald seine Verfolger herausbekämen, wo er sich verkrochen hatte. Nein, er musste weiter rennen, quer durch den Wald und auf Hilfe hoffen. Ein Schmetterling flatterte an ihm vorbei und verschwand in einer hohlen Eiche, wo er sich auf den Winter vorbereitete. Josef war zu groß, um ihm zu folgen.
     
    Lena hatte an einer Eiche gelehnt und ein Lied gesummt, als er sie das erste Mal traf. Ein Schmetterling hatte auf ihrer rechten Hand gesessen.
    Erschrocken brach sie ab, als sie Josef näher kommen hörte.
    »Lass dich nicht stören«, sagte er rasch. »Darf ich?«, und zeigte auf einen Baumstamm ein Stück von ihr entfernt. Sie nickte nicht, sondern runzelte die Stirn und beäugte ihn misstrauisch. Als der Schmetterling wegflog, sah sie ihm traurig hinterher.
    Er packte das Dörrfleisch aus, riss es in der Mitte durch und reichte dem schönen Mädchen eine Hälfte. Als sie zögerte, lächelte er: »Es ist gut!«
    Zaghaft nahm sie den Streifen entgegen und verschlang ihn in aller Eile, als befürchte sie, er würde ihr das Fleisch wieder wegnehmen. Josef hatte seins noch nicht einmal zur Hälfte gegessen, darum gab er ihr den Rest auch noch.
    Anschließend teilte er das Brot mit ihr. Aus seiner Jackentasche nahm er ein paar Beeren, die er auf dem Weg gepflückt hatte, und legte sie behutsam auf sein Hosenbein. Es dauerte nicht lange, da kamen die
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