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Im Dunkeln sind alle Wölfe grau

Im Dunkeln sind alle Wölfe grau

Titel: Im Dunkeln sind alle Wölfe grau
Autoren: Gunnar Staalesen
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sangen noch in meinen Ohren und ich sah kaum, wo ich ging. Harald Wulff war tot. Er hatte mir nichts von Hjalmar Nymark erzählt, oder von all den anderen. Aber das war auch nicht nötig. Ich wußte die Antwort jetzt.
    Unten am Strandkai steht eine dieser ungastlichen, roten Telefonzellen, die du an den meisten Kais im Westland findest. Wenn du vom Meer hereinkommst, kannst du die Nummer von Leuten wählen, die längst vergessen haben, daß du existierst, und dem Besetztzeichen lauschen, während der Sturm dir um die Beine faucht.
    Ich ging in die Zelle, warf eine Münze ein und wählte Konrad Fanebusts Privatnummer. Die Frau, die abnahm, sagte, Fanebust sei nicht zuhause.
    »Wo ist er denn?« fragte ich.
»Bei einem Empfang, im Rathaus.«
Ich dankte und legte auf.
Einige Minuten später stand ich am Rathausblock, diesem
    Staudamm aus Glas und Beton, der als ein Mahnmal des Größenwahns der 70er Jahre errichtet wurde. An der Rezeption im Erdgeschoß erfuhr ich, wo der Empfang stattfand.
    Ich nahm den Fahrstuhl in die oberste Etage – die dreizehnte – und folgte dem Geräusch von Stimmen in den großen Empfangsraum.
    Der Raum war annähernd halb voll Menschen, die sich in verschiedenen Gruppierungen um ein langes Buffet verteilten. Die Versammlung bestand aus mehr oder weniger aktuellen Kapazitäten. Ich erspähte mindestens zwei von Konkurs und Steuerfahndung bedrohte Schiffsreeder, sowie mehrere andere Repräsentanten aus der Schiffsbranche und der Wirtschaft. In einer Gruppe für sich standen zwei längst pensionierte Bürgermeister und sonnten sich in der Verblaßtheit des jeweils anderen, während ein Politiker der Sozialistischen Linken sich reichlich beim Aufschnitt bediente. Eine bekannte Politikerin der Arbeiterpartei lachte ein langes, perlendes Lachen, daß nie ein Ende zu nehmen schien, während ein Stadtratsmitglied der Christlichen Volkspartei, der konsequent gegen alle Schankrechtgesuche stimmte, dem Glanz in seinen Augen nach zu urteilen längst tief im vierten Glas Rosé angelangt war. Hinten in einer Ecke des Raums stand der jetzige Bürgermeister, schlank und braungebrannt, als verbrächte er seine Bürozeiten in einem Solarium und ließ sich zusammen mit einer Gruppe kleinwüchsiger, freundlicher Asiaten für die Presse ablichten. Ich ging davon aus, daß es eine Handelsdelegation und somit die Ursache für die Zusammenkunft war.
    Konrad Fanebust stand ein wenig abseits und bediente sich von einem Tablett mit einer langen, zweizackigen Serviergabel. Ich ging quer durch den Raum direkt auf ihn zu und er sah auf. Das Gesicht verriet nichts weiter als mildes Erstaunen, aber der Arm hielt in der Bewegung inne und er blieb mit der Gabel in der Hand und einem Stück Roastbeef an der einen Zacke hängend stehen.
    Ich war nicht in der Verfassung, diplomatisch aufzutreten und platzte heraus: »Es stimmte nicht, daß Harald Wulff tot war.« »Nein?« Er erblaßte gradweise. »Hast du ihn gefunden?«
    »Ja.« Ich starrte ihm direkt in die Augen und sein Blick glitt über meine Schulter hinweg fort.
»Aber Stauer-Johan, Johan Olsen ist tot, er war es nämlich, der 1971 getötet wurde, anstelle von Harald Wulff. Und du und Harald Wulff, ihr beide habt es getan.«
Er war noch bleicher geworden. »Hör zu, Veum, wenn du hierher gekommen bist …«
»Ich bin jedenfalls nicht hergekommen, um Roastbeef zu essen. Der Kernpunkt in dieser Sache ist trotz allem nicht der Brand 1953, sondern das, was fast zwanzig Jahre später passierte, 1971 und 1972.«
»1972?«
»Was den Brand im Fjøsangervei angeht, war das meiste die ganze Zeit klar; es war nur unmöglich, etwas zu beweisen. Aber jetzt habe ich Harald Wulffs eigenhändiges Geständnis, und …«
»Hat er gestanden?« Er sah mich ungläubig an.
Ich fuhr fort, ohne zu antworten. »Das erste, was ich mich selber fragen mußte, war: Wem war damit gedient, daß Hjalmar Nymark getötet wurde? – denn er wurde ermordet, kaltblütig. Und wer war es? Nicht Hagbart Helle, der konnte sich auf sein riesiges Vermögen im Ausland zurückziehen. Nicht Harald Wulff selbst, wenn er noch am Leben war, denn er war schon einmal durch die Mühle gegangen und er wußte, daß es nicht die Spur von Beweisen gab. Und du nicht, der damals für die Ermittlungen verantwortlich war, auch wenn es einen klitzekleinen Flecken auf deiner weißen Weste gäbe, wenn jetzt jemand käme und beweisen würde, was ihr damals 1953 nicht geschafft habt, zu beweisen. Aber wen kümmert Prestige von vor
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