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Im Dunkel der Nacht (German Edition)

Im Dunkel der Nacht (German Edition)

Titel: Im Dunkel der Nacht (German Edition)
Autoren: Eileen Carr
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weit entfernt und durch ein Rauschen verzerrt wirken ließ, war auch nicht zuträglich. Es war nicht so, dass sie mit dieser Möglichkeit nicht gerechnet hätte – dass eines Tages ein Beamter vor ihrer Tür auftauchen und behaupten würde, dass Max tot sei. Sie hatte es akzeptiert, dass Max möglicherweise nie zurückkehren würde.
    Irgendwie hatte sie aber erwartet, den Zeitpunkt besser einschätzen zu können. Sie hatte genau gespürt, als ihre Mutter starb. Veronica war im Stuhl neben dem Krankenbett eingeschlafen, als sie schlagartig aufwachte und das leise Rasseln vernahm, das die letzten, angestrengten Atemzüge ihrer Mutter begleitete. Es war nicht das verstummende Geräusch, das sie aus dem Schlaf aufschrecken ließ, sondern das Gefühl einer neuen Lücke in ihrem Leben – eines neuen Steins, der ihr auf dem Herzen lag. Diesen Moment des Todes hatte sie instinktiv gespürt.
    Und so hatte sie es auch bei Max erwartet. Zumindest eine seelische Erschütterung, wenn er für immer verschwand.
    Veronica hatte gehofft, geträumt, dass Max eines Tages mit offenen Armen und voller Liebe und Vergebung vor ihrer Tür erscheinen würde. Hätte er sie aber finden wollen, hätte er es vermutlich schon vor langer Zeit getan. Dennoch hatte sie ihre Nummer immer in die Telefonverzeichnisse eintragen lassen, auch wenn das ihre Arbeitskolleginnen nicht taten. Vor allem die alleinstehenden. Die Leute neigten dazu, sich manchmal äußerst unangenehm auf Krankenschwestern zu fixieren.
    Aber sie wollte Max die Suche einfach machen. Ihren Namen bei Google eingeben oder das Telefonbuch in der örtlichen Bücherei bei »O« aufschlagen. Sie hatte gewartet, auf die Heimkehr des verlorenen Bruders, um ihn mit einem Festmahl zu begrüßen.
    Damit würde sie jetzt aufhören. Sie würde ihren Namen und ihre Telefonnummer ändern. In eine andere Stadt ziehen. Max würde sie nicht mehr finden. Nie mehr nach Hause kommen und ihr verzeihen.
    »Verzeihung, aber warum gibt es nichts, was ich identifizieren kann?« Sie schob ihren Pony beiseite und blickte in die ruhigen dunklen Augen des Detectives, der vor ihr saß. Wie hieß er noch gleich? McKnight?
    »Der Gerichtsmediziner arbeitet noch am genauen Todeszeitpunkt … er liegt schon eine Weile zurück.« Er nahm ihre Hand.
    Seine war groß und warm und ein bisschen rau. Patienten zogen sie regelmäßig wegen ihrer Hände auf. An guten Tagen waren sie wie Eisblöcke. Jetzt fühlten sie sich spröde an, so als ob sie zerspringen würden.
    Der Polizist ließ ihr Zeit, darüber nachzudenken, was er über Max’ bereits länger zurückliegenden Tod gesagt hatte. Der kleine wurde unruhig, doch der große mit den tiefgründigen dunklen Augen atmete einfach in ihrem Rhythmus. Sie schluckte fest und fasste sich. Sie wusste, wie man sich konzentrierte. Es gelang ihr meist recht gut, ihre Emotionen in den Hintergrund zu drängen und zu funktionieren.
    Hatte er von einer Baustelle im Stadtzentrum von Sacramento gesprochen? War das der Grund für all das Blaulicht, dem sie an diesem Morgen auf dem Heimweg ausgewichen war? War das der Ort, wo sie Max gefunden hatten? Nicht nur hatte sie nichts empfunden, als er starb, sie hatte es sogar geschafft, nur über die Verkehrsumleitung zu klagen, als seine Leiche in ihrer unmittelbaren Nähe war.
    »Was möchten Sie wissen? Womit kann ich Ihnen helfen?« Ihre Stimme klang schwer und gedämpft, aber regelmäßig. Ihre Tränen würden fließen, wenn sie wieder allein war und die beiden gegangen waren. Ihr fiel niemand ein, der ihren Kummer mit ihr teilen würde. Also blieb sie allein mit ihm. Wie immer.
    »Können Sie sich erinnern, wann Sie Max zuletzt gesehen haben?«, fragte der Kleinere. Rodriguez. Sein Name war Rodriguez.
    Erinnerte sie sich daran, wann sie Max zuletzt gesehen hatte? Ja, natürlich tat sie das. Sie würde es nie vergessen. Die Männer waren mitten in der Nacht gekommen. Sie rissen Max aus dem Bett. Natürlich wehrte er sich gegen sie. Welcher Junge hätte das nicht getan? Max war schon mit sechzehn groß, hatte breite Schultern und war auf dem Weg, ein stattlicher Mann zu werden. Er setzte seinen Angreifern ordentlich zu.
    Veronicas Herz pochte, als sie an die Prügel dachte, mit der sich die Kerle revanchiert hatten. Drei erwachsene Männer brauchten nicht lange, um einen heranwachsenden Jungen zu bezwingen. Sie erinnerte sich an den Tritt in die Rippen, den einer von ihnen ausführte, als Max bereits mit dem Gesicht am Boden lag. Ihre
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