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Im Dunkel der Nacht (German Edition)

Im Dunkel der Nacht (German Edition)

Titel: Im Dunkel der Nacht (German Edition)
Autoren: Eileen Carr
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und präzise. »Wer immer er auch war, er war noch im Wachstum. Die Wachstumsfugen in den großen Knochen haben sich noch nicht verbunden. Er war definitiv unter einundzwanzig und wahrscheinlich sogar jünger.«
    Zach war nicht überrascht. Er hatte nicht erwartet, dass es sich um Jamal handelte. »Kann man sagen, wann er starb?«
    »Noch nicht. Aber sein Gebiss sollte ausreichen, um ihn letztlich zu identifizieren. Heute Nachmittag weiß ich mehr.« Dinsmore widmete sich wieder seinem Labortisch.
    Die Erkennungsmarke musste etwas bedeuten. Zach wusste genau, wo die Erkennungsmarke und das alte Polizeiabzeichen seines Vaters waren: in einer Schachtel auf seinem Schrank und weit oben auf der Liste der Dinge, die er sich schnappen würde, sollte sein Apartment jemals in Brand geraten.
    »Der Kerl hatte ein Kind namens Max Shelden, zu dem ich bislang nichts in Erfahrung bringen konnte. Vielleicht hilft dir das ja.«
    »Alles klar«, sagte Dinsmore und kritzelte den Namen auf einen Notizblock. »Wann ist das Kind gestorben?«
    »Gar nicht, soviel ich weiß. Es ist kein Totenschein hinterlegt.«
    Dinsmore blickte auf. »Der Kleine in der Grube ist mit absoluter Sicherheit tot.«
    »Ist mir aufgefallen. Der Mangel an Fleisch auf den Knochen war ziemlich eindeutig.« Er zuckte mit den Schultern. »Das ist alles, was ich bislang habe.«
    Dinsmore nickte. »Ich rufe an, wenn ich mehr Informationen habe. Ich muss noch eine Menge durcharbeiten.«
    »Wir nehmen alles, was du findest, sobald du es findest«, sagte Zach und machte sich mit Frank auf den Weg.
    Sie hatten ihn gefunden. Sie wussten noch nicht, wer er war, aber sie hatten ihn gefunden. Susan Tennant lehnte sich in ihrem Stuhl zurück und schaltete den kleinen Fernseher in ihrem Büro ein. Der örtliche Nachrichtensender hatte seit acht Uhr morgens nichts anderes als das Video einer konturlosen, in schwarze Beutel gewickelten Leiche gesendet. Jede Nachrichtensendung des Tages hatte die Verladung des Körpers in den Wagen der Gerichtsmedizin als Aufhänger genommen, und es würde sie nicht wundern, wenn das für die nächsten vierundzwanzig Stunden so bliebe.
    Irgendwann jedoch würde etwas anderes geschehen und jedermanns Aufmerksamkeit von Max ablenken. Es war irgendwie die Geschichte seines Lebens: zu viel Aufmerksamkeit, wenn es besser gewesen wäre, ignoriert zu werden, und zu wenig, wenn er sie gebraucht hätte.
    Nachdem der Fernseher aus war, wurde es still in der Klinik. Susan war die Letzte, die noch hier war. Die Belegschaft war es gewohnt, dass sie die Erste war, die kam, und die Letzte, die ging, denn es war ihr Betrieb. Ihr Baby.
    Sie hatte nicht daran gezweifelt, dass sie Max umgehend finden würden. Sie hätten ihn kaum übersehen können. Abgesehen von Scheinwerfern, die ihn anstrahlten, hätte sie kaum mehr auf die Beine stellen können, um das zu gewährleisten.
    Sicher, er war bereits seit fast 20 Jahren als vermisst gemeldet. »Vermisst« war vielleicht nicht das richtige Wort. Um als vermisst zu gelten, hätte es jemanden geben müssen, der sein Verschwinden bemerkt hätte. Doch es hatte nicht einmal jemand nach Max gesucht. Sie schüttelte den Kopf. Man fiel einfach zu leicht durch das Raster. Selbst heute, mit all den Computern und vernetzten Datenbanken, verschwanden Menschen vom Angesicht der Erde, und niemand bemerkte es. Niemanden kümmerte es. Viel zu viele Menschen galten als überflüssig. Die Hälfte der Leute, die täglich diese Klinik betraten und verließen, waren Personen, nach denen niemand suchte. Menschen, die aufhören konnten zu existieren, und keiner würde Notiz davon nehmen.
    Doch
sie
nahm Notiz davon. Sie kümmerte es. Das war der Schwur, den sie sich selbst gegeben hatte. Vor zwanzig Jahren war sie zu verängstigt und zu dumm gewesen, um zu handeln, doch sie hatte versucht, es wiedergutzumachen. In vielerlei Hinsicht hatte sie das sogar, doch die Erinnerung an das, was vor all diesen Jahren geschehen war, konnte sie nie völlig auslöschen. Es würde immer auf ihrer Seele lasten.
    Doch jetzt tat sie etwas für Max. Sie brachte das schreckliche Geheimnis zusammen mit den Gebeinen an die Öffentlichkeit. Jetzt würde auch die Polizei handeln müssen. Knochen, die während Bauarbeiten zum Vorschein kamen, zwangen die Menschen dazu, ihnen Aufmerksamkeit zu schenken.
    Susan seufzte und stieß sich von ihrem alten Metallpult ab. Im Moment konnte sie nichts mehr tun. Nicht ohne alles zu zerstören, wofür sie so hart gearbeitet
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