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Im Dienste der Comtesse

Im Dienste der Comtesse

Titel: Im Dienste der Comtesse
Autoren: CLAIRE THORNTON
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und wandte sich zum Gehen.
    „Monsieur!“, rief das Mädchen ihm nach. „Sie haben Ihre Sträuße liegen gelassen!“
    „Wenn ich es genau bedenke, fürchte ich, sie könnte mich für übereifrig halten, wenn ich ihr fünf Sträuße schenke, einer reicht“, erwiderte er bedauernd. „Behalten Sie die anderen, ich hole sie mir ein anderes Mal, nicht heute.“ Er lächelte die junge Frau an und konnte bemerken, dass sie verstanden hatte. Er würde die Blumen niemals abholen, es stand ihr frei, sie erneut zu verkaufen.
    „Vielen Dank, Monsieur“, wisperte sie, und ihre Augen schimmerten plötzlich feucht. „Möge das Glück immer auf Ihrer Seite sein.“
    „Dasselbe wünsche ich Ihnen auch.“ Er ging weiter und fragte sich, was er mit dem Strauß Nelken anfangen sollte, den er behalten hatte.
    Ein Flugblattverteiler drückte ihm das neueste boshafte Pamphlet gegen die Königin in die Hand. Bei seiner Ankunft in Paris war Pierce erstaunt gewesen, dass so reißerisch obszöne Darstellungen von Marie Antoinette ganz offen in den Straßen verkauft wurden. Englische Illustratoren verspotteten auch prominente Mitglieder der Gesellschaft, und diese Karikaturen konnten bisweilen grausam sein. Aber in London hatte Pierce noch nie Schmähreden gesehen, die ihr Opfer so hoffnungslos verderbt und verkommen porträtierten. Obwohl Marie Antoinette mehr als die Hälfte ihres Lebens in Frankreich verbracht hatte und mit Ludwig XVI. verheiratet war, nannte das Volk sie immer noch l’Autrichienne , die Österreicherin, und belegte sie häufig mit noch weitaus schlimmeren Bezeichnungen.
    Aber die Feindseligkeit der Königin gegenüber war nur ein Teil der unberechenbaren Stimmung in Paris. Frankreich befand sich in einer Krise. Der vorangegangene Winter war streng und die Ernte schlecht gewesen, weshalb Brot nun so teuer geworden war, dass viele es sich einfach nicht mehr leisten konnten. Vor nicht langer Zeit war der König gezwungen gewesen, die Generalstände einzuberufen – die Bezeichnung für die aus den drei Ständen der französischen Gesellschaft bestehende Versammlung –, und zwar zum ersten Mal nach fast zweihundert Jahren.
    Noch vor der ersten Zusammenkunft der Generalstände hatte es Streit über das Votum gegeben. Wenn jeder Stand über eine gleiche Anzahl von Stimmen verfügte, konnten die ersten beiden den dritten Stand jederzeit übertrumpfen. Die Eröffnungsfeier, bei der die beiden ersten Stände, die Geistlichkeit und der Adel, ihre prunkvollsten Roben trugen, während sich der dritte Stand, das Volk, mit schlichtem Schwarz begnügen musste, hatte dem allgemeinen Unmut noch neue Nahrung gegeben. Seither hatte es unaufhörlich Auseinandersetzungen zwischen dem dritten Stand und den beiden anderen gegeben. Der Konflikt war eskaliert, als dem dritten Stand der Zutritt zur Versammlungshalle verweigert worden war. Die Vertreter des Volkes erklärten sich daraufhin zur Nationalversammlung. Sie kamen geschlossen im nahe gelegenen Ballhaus zusammen – einer Halle, in der sonst eigentlich Tennis gespielt wurde – und legten einen Schwur ab, sich niemals zu trennen, bis man eine annehmbare Verfassung verabschiedet hatte.
    Über all das war in England berichtet worden, aber es war eine Sache, über die dramatischen Ereignisse in der Zeitung berichtet zu bekommen, eine ganze andere jedoch, sich im Herzen dieser Geschehnisse zu befinden. Pierce war fasziniert von allem, was er las und hörte.
    Der Ballhausschwur war am 20. Juni abgelegt worden. Mittlerweile war der 8. Juli, und die Spannungen hatten immer weiter zugenommen. Die Generalstände tagten in Versailles, und Neuigkeiten über die Ereignisse dort wurden dem Palais Royal berichtet, wo man heftig darüber debattierte. Der König hatte darauf reagiert, indem er Truppen rund um und in die Stadt entsandte. Dadurch wuchsen natürlich das Misstrauen und der Unmut der Menschen. Pierce blieb eine Weile stehen, um einem Mann zuzuhören, der auf einen Tisch gesprungen war und die Menge mit einer leidenschaftlichen Rede davon überzeugte, wie wichtig es war, den dritten Stand jetzt zu unterstützen. Viele der Anwesenden scharten sich um ihn und gaben lauthals Bemerkungen dazu ab. Pierce kam es so vor, als wäre jeder in Paris zum Politiker geworden, der eine eigene Meinung hatte. Von seinem Naturell her galt seine Sympathie dem dritten Stand, aber er war in Frankreich, um einen Erpresser zu stellen, und er konnte es sich nicht leisten, sich zu lange ablenken zu
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