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Im Dienste der Comtesse

Im Dienste der Comtesse

Titel: Im Dienste der Comtesse
Autoren: CLAIRE THORNTON
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wohlformulierter Bemerkungen bedurft, um den mit ihm wartenden jungen Mann zum Aufgeben zu bewegen.
    „Hm.“ Sie runzelte die Stirn und drehte sich so ungestüm um, dass ihre Röcke raschelten. „Treten Sie ein“, sagte sie.
    Als er ihr folgte, nahm er anerkennend den Schwung ihrer Hüften wahr, doch dann wurde sein Blick wieder von ihrem Haar angezogen. In langen, üppigen Strähnen fiel es ihr über den Rücken. Viele Damen trugen es auf diese Weise, doch meistens benötigten sie Haarteile, um eine solche Fülle zu erzielen. Die auffällige Farbe und das Fehlen jeglichen Puders deuteten jedoch darauf hin, dass diese Dame hier solche Hilfsmittel nicht nötig hatte. Pierce verspürte das unerklärliche Verlangen, die seidig schimmernden Locken zu berühren. Ein flüchtiges, leicht ironisches Lächeln umspielte seine Lippen und verschwand wieder, ehe die Dame sich umdrehen und es sehen konnte. Seit Rosalies Tod war er völlig unempfänglich für weibliche Reize. Nun kam es ihm etwas absurd vor, dass die erste Frau, die wieder sein Interesse weckte, ausgerechnet eine Erpresserin war. Er hatte nicht vorgehabt, an die von ihm benötigten Informationen durch Verführung heranzukommen, aber er war durchaus anpassungsfähig. Und die Comtesse war wirklich … überraschend reizvoll.
    Sie trug eine weich fallende grüne Schärpe um die Taille, die farblich zu ihren Augen passte. Das war eindeutig keine Trauerkleidung. Ihr Mann war erst vor acht Monaten gestorben, also hätte sie eigentlich immer noch in schwarzer Seide auftreten und schwarzen Schmuck anlegen müssen. Sie jedoch trug keinerlei Schmuck, nicht einmal – wie Pierce mit scharfem Blick feststellte – ihren Ehering. Was hatte das zu bedeuten?
    Die üppigen Röcke bildeten eine kleine Schleppe hinter ihr auf dem Boden und dämpften so ihre Schritte, Pierces hingegen hallten laut auf dem Holzboden wider. Sie führte ihn in einen großen Salon, der sogar noch größer wirkte, weil er fast vollständig unmöbliert war. An den Wänden befanden sich keine Bilder – obwohl Pierce an den helleren Stellen erkennen konnte, dass dort einst welche gehangen hatten –, und an den hohen Fenstern, von denen aus man eine schöne Aussicht auf den Platz hatte, befanden sich keine Vorhänge. Die einzigen Möbelstücke im Raum waren ein Tisch und ein Stuhl mit hoher Rückenlehne. Pierce nahm diese Hinweise auf die missliche Lage der Comtesse mit leidenschaftslosem Interesse wahr.
    Sie setzte sich an den Tisch, auf dem zahlreiche Papiere verstreut waren, die meisten Blätter eng beschrieben. Irgendwo entdeckte sie ein leeres Blatt, zog es zu sich heran und griff nach der Feder. „Wie heißen Sie?“, fragte sie knapp.
    „Pierre Dumont“, erwiderte Pierce und sah zu, wie sie den Namen notierte.
    „Welche beruflichen Erfahrungen haben Sie als Diener?“
    „Ich habe für die Duchesse de la Croix-Blanche gearbeitet und für die Comtesse de Dreux“, gab er Auskunft.
    Sie schrieb auch das nieder, und als sie dann aufsah, überraschte ihn ihr eindringlich prüfender Blick. Sie hatte eben noch so ungeduldig gewirkt, dass er geglaubt hatte, sie würde sich nicht die Zeit nehmen, ihn genauer zu betrachten. Der Mann, der Pierce vorgab zu sein, hätte sich unter diesem Blick wahrscheinlich vor Unbehagen gewunden, aber diesen Gefallen wollte er ihr nicht tun. Daher fixierte er mit den Augen einen Punkt irgendwo über ihrer Schulter und wartete ab.
    Trotzdem entging ihm nicht, wie sie die Breite seiner Schultern und den Sitz seines Mantels begutachtete. Sie sah auf seine Hände. Schließlich huschte ihr Blick zu seinen Schenkeln, zögerte – und verharrte dort.
    Gütiger Gott! Die Frau suchte anscheinend gar keinen Diener – sie wollte herausfinden, ob er ihren Anforderungen als Liebhaber gerecht wurde! Einen Augenblick lang war Pierce schockiert über ihre Kühnheit, doch dann empfand er kühle Belustigung. Wie es aussah, war er nicht der Einzige, der mit dem Gedanken an eine Verführung spielte.
    Draußen im Flur hatte er sich noch gewappnet, kein Mitgefühl mit einer armen Witwe zu bekommen, die vielleicht einer Fehleinschätzung erlegen war. Aber eine Comtesse, die sich ihre Liebhaber dreist aus den Reihen beschäftigungsloser Bediensteter auswählte, brauchte seine Sympathie nicht. Er sah ihr geradewegs in die Augen.
    Der Vormittag war nicht gut verlaufen. Mélusine hatte noch nie eigenmächtig einen Bediensteten eingestellt, und sie empfand auch jetzt keine wirkliche Lust dazu.
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